#151

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 27.05.2017 22:46
von Annika • Nesthäkchen | 22 Beiträge



Eine ihrer Augenbrauen hob sich, als sie ihre Freundin angekettet neben der gesuchten Soldatin fand, ebenfalls angekettet. Auf sie machte die blonde Frau keinen gefährlichen Eindruck. Astraea und „Eder“ gingen sich nicht an die Gurgel, also schien sie gar nicht so schlimm zu sein. Das kleine, belustigte Lachen konnte sie sich nicht verkneifen, als Kilian von Astraea angefaucht wurde. Dass ihre Freundin nicht gerne wo festgehalten wurde, hätte sie ihm auch im Vorhinein sagen können, oder eher hätte man es sich auch denken können. Wie lange sie ihm das wohl vorhalten würde? Es dauerte nicht lange, bis Kilian schon zu ihrer Hilfe eilte und sie los machte. Während er sich anschließend mit Eder beschäftigte, erkundigte Pola sich nach Astraea, nachdem sie ihre Handgelenke gesehen hatte. Als Pola ihr erklärte, warum sie nun auch hier war, hielt sie sich ebenso kurz wie auch vorhin, als sie mit Kilian gesprochen hatte. „Und mach dir keine Sorgen um mich, du weißt ja, mich haut nichts so schnell um“, meinte sie mit einem Zwinkern und half ihr auf. Nun war es wieder Kilian, der sich an Pola wandte. „Mir gefällt die Vorstellung nicht, dich alleine gehen zu lassen.“ „Ach was, was soll schon Schlimmeres passieren? Wenn ich wirklich sterben sollte versprich mir nur, dass ich nicht auch noch eine Totenfeier bekomme. Eine hat den Azallen schon gereicht“, sie versicherte ihm, dass er keine Bedenken haben sollte. „Und noch etwas. Lass Astraea nicht an meine Kleidung“, mit einem Klopfen auf seine Schulter wandte sie sich schon wieder jemand anderem zu. Ihre Augen ruhten auf der immer noch gefesselten Frau. Mit kurzem Prozess riss sie ein Stück Stoff von ihrem Kleid ab und legte es Eder um die Augen. Mit einem kurzen Winken vor ihren Augen versicherte sie sich, dass es auch wirklich blickdicht war. „Keine Sorge. Ich beiße nicht, solange du es auch nicht tust. Dann verstehen wir uns.“ Noch bevor sie es vergaß, achtete sie auch auf ihre Ohren. Mehr als eine Schicht lag nicht darüber, aber das müsste wohl genügen. Zur Not könnte sie ihr auch die Ohren zu halten, bis sie weit genug vom Versteck entfernt waren. Und Tatsache, nachdem sie sich verabschiedet hatte, traten sie nach draußen. Noch vor dem Ausgang, legte sie ihr die Hände von hinten auf die Ohren und machte sich so auf den Weg zurück zu dem wartenden Mann. Es gestaltete sich in der Tat ein wenig schwer, vom Versteck aus nach oben zu kommen, ohne ihre Hände zu benutzen, aber es war machbar. Auch wenn es ein wenig länger als sonst dauerte. Pola wollte im Moment einfach nichts riskieren, das forderte oft eben ein wenig Geduld. Nach einiger Zeit, als sie sich sicher war, dass die Geräusche des Wassers außer Reichweite waren, entfernte sie ihre Hände wieder und achtete darauf, dass die Soldatin nirgendwo gegen lief und möglicherweise einen Baum mitnahm. Wenn sie schon jemanden überliefern sollte, dann auch ordentlich. Viel hielt sie von den Soldaten des Königs nicht, wirklich nicht, aber Pola war auch definitiv keine Person, die anderen aus bloßer Schadenfreude etwas zustoßen ließ. Langsam aber sicher wurde sie sich bewusst, dass sie bald da sein müsste. Siehe an, da stand er auch schon. Neben ihrem Korb. Mittlerweile hatte sie sich gedanklich auch schon damit abgefunden, dass er möglicherweise zurück gelaufen war um andere Soldaten zu holen, sie zu überrumpeln, aber nein. Und von dem, was sie so ausmachen konnte, war ihr Korb ebenfalls unangetastet. „Hier, ich hoffe, der Herr ist zufrieden“, murmelte sie und stieß Eder in seine Richtung. „Bekomme ich jetzt auch meinen Teil des Versprechens? Es muss ja nicht einmal der Korb mit inbegriffen sein, zurückhaben würde ich ihn allerdings schon gerne.“


zuletzt bearbeitet 27.05.2017 22:50 | nach oben springen

#152

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 27.05.2017 23:53
von Neyl • Admin | 37.081 Beiträge



Ein Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als ich die Azalle mit Eder im Schlepptau zwischen den Bäumen hindurch auf mich zukommen sah. Siehe an, sehr gefolgsam diese Azallen, wenn man ihre Liebsten bedrohte. Nicht umsonst hatten die beiden Gefangenen mir schon alles verraten, was ich wissen wollte. Zum Glück waren alle meine Schwachpunkte bereits aus dem Weg geräumt. „Hier, ich hoffe, der Herr ist zufrieden“ Automatisch fing ich die Frau auf, die man mir entgegenstieß und bejahte grinsend ihre Aussage. "Sehr zufrieden." Dann blickte ich hinunter zu der Soldatin und entfernte ihren Sichtschutz mit einem schnellen Handgriff. "Willkommen zurück.", begrüßte ich die kleine Ausreißerin, ehe mein Blick wieder zu der Brünetten wanderte, die ihr Eigentum zurückverlangte. Ihre Aussage ersteinmal ignorierend, stellte ich Eder wieder auf ihre eigenen Füße, trat an der blonden Frau vorbei und zog mein Schwert aus der feuchten Erde, welches ich dort versenkt hatte, um an dessen Schatten die Zeit einschätzen zu können. "Ich werde dich nicht daran hindern dir zu nehmen, was dir gehört..."


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#153

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 28.05.2017 01:00
von Fionien • Giftzwerg | 63 Beiträge



Kilian kam Astraeas höflichen Aufforderung, sie loszumachen, nach und sah dabei recht vergnügt aus, was sich jedoch in Ernst wandelte, als er sich mir zuwandte.
„Du wirst offenbar vermisst...“, sagte er kalt. „Wie bereits gesagt, können wir dich nicht einfach gehen lassen und dich unseren einzigen, sicheren Unterschlupf verraten lassen. Zu deinem Glück, haben wir eine Lösung gefunden. Also halt einfach still, du wirst nichts spüren. Und dann kannst du zu deinem ehrenvollen König zurückkehren.“
Mit einer Mischung aus Wachsamkeit und Misstrauen sah ich ihn an. Wie wollten sie das anstellen? Mir war klar, dass Azallen Kräfte besaßen, die normale Menschen nicht beherrschten, aber wie weit gingen diese Kräfte?
Die Schwangere kam auf mich zu und ich zuckte zurück, als sie mir die Hände an den Kopf legte. Verwirrt musterte ich sie, als sie die Hände wieder wegnahm. Was hatte sie gemacht? Ich spürte keinerlei Veränderung. War das ein Trick? Oder setzte die Wirkung erst später ein?
Die Azallen redeten miteinander, allerdings hörte ich nur mit halbem Ohr zu. Informationen wie dass jemand Vorsicht walten lassen sollte, war nicht wirklich interessant.
Eine dunkelhaarige Frau, die ich erst spät bemerkt hatte, trat auf mich zu. Mit einem Ratschen riss sie sich kurzerhand ein Stück von ihrem Stoff und band es mir um die Augen. Wie einfältig. Als ob das irgendetwas bringen würde, schließlich kannte ich den Standort der Azallen bereits … nein. Kannte ich nicht. Wo war das Azallenlager? Das konnte nicht sein. Ich musste doch irgendwie hergekommen sein. In diesem Fall breitete sich tatsächlich Angst in mir aus. Das konnte nicht sein. Ich war mir absolut sicher, dass ich das gewusst hatte. Aber egal wie sehr ich mir den Kopf zerbrach, es kam nichts. Keine Erinnerung. Meine Hände in den Fesseln verkrampften sich zu Fäusten. Was sollte ich nun sagen, wenn ich ins Schloss zurückkehrte. Ich konnte doch nicht sagen, ich erinnerte mich nicht mehr. Sollte ich lügen?
„Keine Sorge. Ich beiße nicht, solange du es auch nicht tust. Dann verstehen wir uns.“ Danach dämpfte der Stoff auch die Geräusche ab. Ich straffte die Schultern und fühlte mich verwundbarer als gefesselt am Boden. Ich spürte Hände über meinen Ohren und es kam mir wie ein ewiger, gefährlicher Weg vor. Ich schalt mich selbst dafür, aber der Waldboden unter meinen Füßen fühlte sich an, als würde sich mit dem nächsten Schritt ein Loch auftun.
Zu meiner Überraschung führte die Frau mich nirgendwo gegen. Dafür hatte ich das Gefühl, als würde mein Herz aussetzen, als ich nach vorn geschubst wurde. Wäre ich nicht gefangen worden, wäre ich wohl zu Boden gestürzt.
Durch das Tuch hörte ich leise die Frau: „Hier, ich hoffe, der Herr ist zufrieden.“
„Sehr zufrieden.“ Das war keine Stimme, die ich hören wollte. Nicht dass ich damit gerechnet hätte, eine mir angenehme Stimme zu hören, allerdings ließ diese mir das Blut gefrieren. Alle Farbe wich mir aus dem Gesicht, als der Stoff entfernt wurde und ich Callum entgegen blickte.
„Willkommen zurück.“
Er stellte mich zurück auf meine Füße und ich sah ihn entgeistert an. Warum Callum? Ich hatte mit Corboz gerechnet, der mir zwar auf den Geist gehen würde, aber wenigstens keine echte Gefahr darstellte. Callum dagegen... ich wusste nichts von ihm. Nur, dass er einige Methoden hatte, die mir überhaupt nicht zusagten.
Entgeistert spürte ich, dass ich tatsächlich Angst hatte. Dabei hatte ich gedacht, ich hätte inzwischen verlernt, so etwas zu fühlen.

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#154

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 28.05.2017 15:55
von Annika • Nesthäkchen | 22 Beiträge



„Sehr zufrieden.“ Na immerhin etwas. Pola machte einen kleinen Bogen um die blonde Soldatin und nahm zögerlich ihren Korb, um sicher zu gehen, dass sie keinen falschen Schritt macht und sie dies ihr Leben kostet. „Es war nett, Eure Bekanntschaft zu machen. Einen schönen Tag noch“, meinte sie mit einem Lächeln, welches sie all ihre Willenskraft kostete. Sie hätte nichts lieber getan, als beiden eine mit ihrem Korb überzuziehen. Dumm war sie allerdings auch nicht, also beließ sie es bei ihrer Verabschiedung und schwor sich, den nächsten Soldaten dem sie über den Weg laufen sollte, deutlich zu machen, dass sie keine Lust auf weitere hatte. Zwei Soldaten reichten ihr für einen Tag. Mit einer Hand hob sie das Kleid leicht an, um über die größeren Wurzeln hinweg zu kommen und sich nicht noch lächerlich zu machen, indem sie den Boden küsste. Immerhin hatte sie für die nächste Zeit eine kleine Beschäftigung, nämlich das Kleid wieder zusammen zu flicken.

Zurück im Versteck, suchte sie als erstes einmal Astraea auf und zeigte ihr den Inhalt ihres Korbs. „Also, wenn du dich jetzt beschwerst, dann habe ich mir umsonst Sorgen um die Besorgungen gemacht“, grinste sie.

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#155

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 28.05.2017 19:55
von Pummel • Eumelchen <3 | 295 Beiträge



Die Annahme die Zeit stünde vorrübergehend auf meiner Seite, hatte sich am Ende als massiver Fehler herausgestellt. Nur ein paar Stunden mehr und es hätte klappen können. Ein paar Stunden Verzug am gestrigen Abend und die Ereignisse am See hätten niemals stattgefunden. Waren es nicht immer diese paar Stunden, diese paar Augenblicke, die letztlich über Leben oder Tod, Sieg oder Niederlage entscheiden konnten? Ich war mir schon immer der Tatsache bewusst gewesen, dass ich nicht unter dem glücklichsten Stern geboren worden war. Aber Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.
Mehr durch Zufall bekam ich den Tumult mit. Zwei junge Soldaten, die aufgeregt von den Geschehnissen berichteten. Ein dritter hatte den Gefangenen wohl wiedererkannt. Die letzte Person, mit der man Liam zuletzt gesehen hatte. Fabelhaft. Noch ehe ich es wirklich zur Kenntnis nahm, hatte ich meine Schritte beschleunigt und in Richtung Zellentrakt gelenkt. Ruhig bleiben, hörte ich mich selbst gedanklich zu mir sprechen. Die Geräusche, eine Mischung aus Schreien, Stöhnen und den dumpfen Lauten von Schlägen, machte es jedoch schwer an diesem Vorsatz festzuhalten. Vor allem, als sich die grausige Szene in voller Pracht vor mir ausbreitete. Einer der Soldaten lag blutüberströmt und röchelnd am Boden zu meinen Füßen; aus seinem Hals ragte ein Kamm. Der Rest war gerade im Begriff den am Boden liegenden mit Tritten und Schlägen zu traktieren. Aneela in der verschlossenen Zelle daneben konnte nichts anderes tun, als hilflos zuzusehen.
„Aufhören.“, entwich mir leise, als ich die anfängliche Starre überwand und versuchte die lynchende Meute auseinanderzutreiben. „Sofort aufhören!!!“ Zu spät merkte ich, dass die Situation längst außer Kontrolle geraten war. Eine herumschnellende Faust schmetterte mein Gesicht zur Seite. Keuchend stolperte ich gegen die Gitterstäbe, und nutzte einen Augenblick lang die Stütze, ehe ich herumfuhr und die Soldaten wütend fixierte. In einer fließenden Bewegung hob ich das Schwert des Sterbenden vom Boden auf und hielt dessen Klinge kurzerhand an die Kehle des Mannes, der mir am nächsten war und gerade zu einem Tritt ausholte.
„Aufhören hab ich gesagt!!!“
Erst jetzt zeigten meine Worte die gewünschte Wirkung. Den Moment ausnutzend schob ich mich langsam zwischen die Soldaten und ihr Opfer, die Spitze der Klinge am Hals des Soldaten behaltend. Es fiel mir schwerer, als erwartet, die Fassung zu wahren. Der Schlag hatte meinen Gleichgewichtssinn beeinträchtigt. Und die Tatsache, dass ich die eingebildete Fratze meiner Gegenüber doppelt sah, machte die Sache auch nicht bedeutend besser. Nichtsdestotrotz holte ich tief Luft, ehe ich langsam, jedoch fest weitersprach.
„Die Gefangenen unterstehen Callum. Und er hat angeordnet-„
„Callum ist nicht da.“, unterbrach mich der Soldat unbeeindruckt und hob dabei missbilligend eine Augenbraue. „Seit wann bist du denn sein Schoßhündchen, Kleine?“
Anstatt zu antworten deutete ich mit meinem Kopf in Richtung des am Boden liegenden Soldaten. „Ihr solltet euch lieber um euren Freund kümmern. Ich regele den Rest. Klingt doch fair?“
Sekunden verstrichen, in denen mich die zwei Männer verständnislos betrachteten. Doch schließlich gab einer von ihnen nach. „Komm man, der krepiert eh in ein paar Stunden. Das ist es nicht wert.“ Es folgte ein unzufriedenes Schnaufen, gefolgt von Flüchen, als der Soldat versuchte den ausblutenden vom Boden zu hieven. Nicht, dass er noch große Überlebenschancen hatte. Aber eine Leiche in den Zellen würde wahrscheinlich zu viele Fragen aufwerfen. Reglos folgte ich den Männern mit meinem Blick. Erst, als sie aus meinem Sichtfeld verschwunden waren, erlaubte ich es mir langsam auszuatmen. Abwesend wischte ich mir das Blut von der aufgeplatzten Lippe und richtete meine Augen langsam zu dem Gefangenen, der sich mittlerweile hustend aufgesetzt hatte. Ich kniff dabei ein Auge zu, um die Übelkeit auszublenden. Das Schwert behielt ich weiterhin mit meinen Fingern umschlossen, dir Klinge nach unten gerichtet.
„Muss ich einen zweiten Kamm befürchten?“ Der Gefragte lachte röchelnd auf und schüttelte anschließend mit dem Kopf. Er sah wirklich nicht besonders gut aus. Krampfhaft suchte ich nach einem Ausweg aus dieser Situation. Mir fielen auf Anhieb zwei Optionen ein. Und keine der beiden wollte mir so recht gefallen. Doch am Ende entschied ich mich für diejenige, die auf längere Sicht vernünftiger schien. Nachdem ich Aneela darum gebeten hatte zur gegenüberliegenden Seite der Zelle zu laufen, half ich dem Verletzten auf die Beine und setzte ihn zurück in seiner Zelle ab. Nachdem ich ihm ein paar letzte Worte zugeflüstert habe, verschloss ich die Tür hinter mir gewissenhaft und hoffte darauf am heutigen Tage nicht noch einmal hierher zurückkehren zu müssen.

~~~

Mit einem flauen Gefühl im Magen dachte ich an die Ereignisse der vergangenen Tage zurück. Es hatte wahrscheinlich alles mit dem nächtlichen Ausflug zum See angefangen. Diese eine, leichtfertig aus Sentimentalität getroffene Entscheidung hatte alles zum Bröckeln gebracht. Ich war nachlässiger geworden, was die brennende Wange nur allzu deutlich bestätigte. Seufzend lehnte ich den feuchten Lappen gegen meine geschwollene Haut, was den Schmerz nur kurzzeitig linderte. Letztlich war die Verletzung zweitrangig. Was mir in Wahrheit die Ruhe raubte war der verletzte Stolz. Oder das, was noch davon übrig war.
Blubbernd landete das Stück Stoff in der Schüssel mit frischem Wasser, die ich neben mir auf dem Boden abgelegt hatte. Ich selbst saß an dem einzigen, offenen Fenster in meiner Kammer. Von hier aus hatte ich nur eine eingeschränkte Sicht auf den Innenhof. Soldaten, die ihrem Alltag nachgingen waren kein besonders atemberaubender Anblick. Ohne der Umgebung besondere Beachtung zu schenken dachte ich ein weiteres Mal an die Gefangenen zurück. Ich war mir immer noch nicht ganz sicher, ob es eine gute Idee gewesen war sie alleine zu lassen. Andererseits steigerte jeder Augenblick, den ich in ihrer Nähe verbrachte, die Wahrscheinlichkeit den Verdacht auf mich zu ziehen, falls ihre Flucht erfolgreich sein sollte. So, wie ich bereits zuvor festgestellt hatte, führte jede Entscheidung, die ich ab jetzt fällen würde, über kurz oder lang, zu einer Niederlage.


zuletzt bearbeitet 31.05.2017 09:28 | nach oben springen

#156

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 28.05.2017 21:53
von Neyl • Admin | 37.081 Beiträge



Trotz meiner Worte, ließ die Azalle weiterhin Vorsicht walten und mit leicht gehobenen Augenbrauen, beobachtete ich, wie die junge Frau ihr Hab und Gut an sich nahm und dann zu einem aufgesetzten Lächeln ansetzte. „Es war nett, Eure Bekanntschaft zu machen. Einen schönen Tag noch“ Wieviel
Überwindung sie diese unscheinbare Geste wohl gekostet hatte? Ich nickte ihr wortlos entgegen, schmunzelte angesichts ihrer unverkennbaren Missbilligung und noch ehe ich meine Gedanken zu Ende gebracht hatte, war die Brünette wieder im Wald verschwunden.
Ein paar Augenblicke verharrte ich nachdenklich, ehe ich mich zu der Soldatin umwandte und diese prüfend musterte. "Gehe ich recht in der Annahme, dass du ihr Versteck nicht kennst?"

~~~

Wortlos sah ich zu, wie die braunhaarige Frau im Dickicht verschwand. Es wäre mir in diesem Fall lieber gewesen, sie wäre geblieben, denn ich hatte das Gefühl, von ihr ging weniger Gefahr als von Callum aus.
Unter Callums Blick straffte ich mich.
"Ja. Ich kenne es nicht." Nicht mehr. Sonst hätten sie mich nicht gehen lassen. Ich schluckte und neigte den Kopf. "Vielen Dank... für die Befreiung."
Auch wenn ich mich fragte, ob ich dafür nicht einen Preis zahlen musste. Callum war zu undurchsichtig. Seine Gedanken konnte ich nicht erraten.

~~~

Ein stummes Kopfnicken meinerseits war die einzige Reaktion auf ihre Bestätigung und abwartend betrachtete ich Eder, die nicht weniger nervös wirkte, wie die Azalle, die uns gerade verlassen hatte. Ihr Dank kam deshalb ein wenig unerwartet. "Du warst mir unterstellt. Und da deine Kameraden wieder mal mit Inkompetenz glänzen, habe ich das übernommen.", gab ich erklärend zurück, während ich mein Schwert zurücksteckte und meine Schritte anschließend Richtung Schloss lenkte. "Also, was ist passiert?"

~~~

"Ich weiß nur, dass ich in einer Art Steingang gefangen war, ohne wirkliche Absicherung außer den Fesseln und einer Wache. Trotzdem kamen sowohl eine Frau als auch ein Kind. Die Sicherungsmaßnahmen sind also eher lasch. Außerhalb des Kellers waren meine Augen verbunden, deshalb sind das alle Informationen, die ich habe."
Das war erschreckend wenig. Dabei war ich mir sicher, dass das nicht so einfach gewesen war. Aber ansonsten fehlte mir jegliche Erinnerung. Es war zum Verzweifeln.

~~~

Abrupt blieb ich stehen, als Eder ihre vagen Schilderungen kundtat und betrachtete meine Gegenüber eine ganze Weile lang schweigend. "Keine Informationen, die uns helfen würden, ihr Versteck auszumachen...", sprach ich das Offensichtliche aus und strich mir abwesend durch das Haar, ehe ich meine Augen wieder auf die Blondine richtete und dann unterwartet auf sie zutrat. Meine Hand fuhr zu meinem Waffengürtel, aus dem ich einen langen Dolch hervorzog und zum ersten Mal seit wir beide alleine waren, huschte ein Lächeln über meine Lippen. "Warum so nervös?", fragte ich und fixierte einen Moment das helle Augenpaar der Soldatin, die mehr über sie preisgaben, als sie vermutlich ahnte. "Umdrehen.", befahl ich einen Augenblick später und als sie tat, wie ihr geheißen, durchschnitt ich ihre Fesseln mit einem schnellen Ruck. "Das scheint die einzige Verletzung zu sein, die euch in dieser Gefangenschaft zugefügt wurde?", hörte ich mich leise fragen, während ein Finger meiner freien Hand über die gerötete Haut fuhr, die unter den Seilen zum Vorschein gekommen war.

~~~

Callum stoppte und drehte sich zu mir um. Sein Blick fühlte sich unangenehm an und ich wusste wieder, warum er einer der wenigen Menschen war, vor denen man sich tatsächlich fürchten konnte. Er stellte fest, dass meine Informationen in keinerlei Weise hilfreich waren und ich war versucht, einige Schritte vor ihm zurückzuweichen, blieb allerdings still stehen, als er auf mich zutrat. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mein Herz bis zum Hals schlug. Er zog einen Dolch hervor und lächelte. Ich war unfähig, meinen Blick von der Waffe abzuwenden und antwortete nicht auf seine Frage, die mich nur nervöser werden ließ. Ich drehte mich um und spürte im nächsten Moment die Fesseln fallen. Dieses Mal atmete ich tatsächlich erleichtert auf.
Dann spürte ich, wie er über die gescheuerten Stellen an meinen Handgelenken fuhr und fragte mich, was zum Teufel er da tat.
"Nein, ansonsten geht es mir gut", sagte ich und drehte mich zu ihm um. "Danke."

~~~

Als die Soldatin sich wieder zu mir umdrehte, musterte ich noch immer prüfend jede einzelne Regung auf ihrem Gesicht und wägte ab, wie aufrichtig sie war und welches Vorgehen am ratsamsten wäre. Zu viele Variablen, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Probleme, die es zu lösen galt. "Zweimal an einem Tag...", erwiderte ich amüsiert, als sie sich abermals bedankte und meine Mundwinkel gingen ein wenig in die Breite. "Machen wir doch drei daraus...", fuhr ich leise fort, hob meine Hand zu ihrer Wange und rieb behutsam mit dem Daumen ein wenig verkrustete Erde davon ab. Ich konnte die Verwirrung deutlich erkennen, doch Eder begriff einen Moment zu spät, was hier gerade wirklich passierte. Mit einem schnellen Stoß drang die Klinge in meiner Hand durch die seitliche Schwachstelle an ihrer Rüstung und warmes Blut suchte den Weg über meine Finger und bedeckte den Waldboden, wie es eine Nacht zuvor schon das der Azallen getan hatte.


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#157

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 29.05.2017 23:19
von Fionien • Giftzwerg | 63 Beiträge




„Zweimal an einem Tag...“, meinte er amüsiert. Jeder anderen Person hätte ich einen recht kühlen Blick geschenkt, aber bei Callum war ich vorsichtig und blieb gleichgültig. Es gehörte nun einmal zum guten Ton, sich zu bedanken, selbst wenn man Callum gegenüber stand. Oder vor allem dann.
Er grinste. „Machen wir doch drei daraus...“ Callum hob die Hand und fuhr mir damit über die Wange. Ich sah ihn verständnislos an. Sein Verhalten irritierte mich aufs Äußerste.
Im nächsten Moment spürte ich einen heftigen, stechenden Schmerz, der mich in die Knie gehen ließ. Ungläubig sah ich in Callums Gesicht. Das machte keinen Sinn, dachte ich, während ich einen Schmerzensschrei unterdrückte. Überhaupt nicht. In stummen Entsetzten starrte ich auf meine Seite, die sich langsam rot färbte und sich anfühlte, als wäre ich soeben in zwei Teile geteilt worden.

~~~

"Du kannst mir später danken...", sagte ich, die junge Frau in meinen Armen, ehe ich sie auf dem Waldboden ablegte. Ein paar Handgriffe später, hatte ich die Wunde soweit versorgt, dass zumindest der Blutfluss gestoppt war. Um den Rest konnte man sich im Schloss kümmern. "Ich gebe zu, vielleicht ein wenig radikal, aber wenn Corboz auch nur den leisesten Verdacht hegt, dass du das Versteck der Azallen kennst, würde er weitaus schlimmeres mit dir anstellen." Ich versicherte mich, dass die Versorgung glaubhaft nach ihrer eigenen Handschrift aussah, ehe ich die junge Frau in meine Arme hob und losmarschierte. "He, schön wach bleiben. Das ist wichtig, also hör zu. Du wurdest bei den Kampf verwundet und hast überlebt. Schieb es darauf, dass die Götter noch nicht mit dir fertig sind, mir egal." Ich betrachtete Eder, deren Dankbarkeit sich vermutlich in Grenzen hielt. "Du warst nie bei den Azallen, verstanden? Und du wirst nie wieder ein Wort darüber verlieren, was heute geschehen ist. Sei einfach dankbar, dass ich dich nicht den Wölfen überlasse..."
Ich zog meine rechte Schulter hoch und wischte mir die feuchte Stirn daran ab, ehe ich leise seufzte. "Es ist mir ohnehin ein Rätsel, dass du solange überlebt hast.."

~~~

Ich bis die Zähne zusammen und schloss kurz die Augen, während ich innerlich Callum aufs Heftigste verfluchte. Das Schlimme war, dass er bei näherer Betrachtung gar nicht so falsch lag, auch wenn ich mich fragte, wieso er mich dafür unbedingt hatte verletzen müssen. Das würde meinem Training schaden.
Ich dachte nicht im Traum daran, wegzudämmern: Von ihm getragen zu werden war eine Zumutung und zu beschämend. Neben dem Schmerz in meiner Seite flammte ziemlich heftig Wut auf.
"Ich kann allein laufen, du kannst mich runter lassen", knurrte ich.

~~~

"Und warum bist du dann nicht zum Schloss gelaufen?", knurrte ich zurück und überging ihre "Bitte" sie abzusetzen. "Bring mich nicht dazu, meine Entscheidung dich leben zu lassen zu bereuen."
Meine Schritte beschleunigend, versuchte ich trotz allem Eder möglichst ohne weiteren Schaden durch den Wald zu befördern und nutzte die kurzzeitige Stille, um meine Gedanken zu sortieren. Ich hoffte nur, dass mein kleiner Ausflug sich im Endeffekt nicht zu meinem Nachteil entwickeln würde. Immerhin war es unmöglich abzuschätzen, ob Katelyn nicht übereilt gehandelt und damit meine eigentliche Absicht durchkreuzt hatte. Mir gefiel es nicht, dass die Dunkelhaarige eine Variable darstellte, die ich noch nicht vollständig kontrollieren konnte. Unzufrieden runzelte ich die Stirn und sah zu der zweiten Frau, die ebenso zu einem Hindernis werden konnte. Doch zumindest hatte ich so die Gelegenheit noch einige Informationen zu erhalten. "Was kannst du mir noch über sie erzählen?"

~~~

Ich warf ihm einen wütenden Blick zu und versuchte dabei, wenigstens nach außen hin wieder neutral zu wirken, was mir nur teilweise gelang. Sein gesamtes Verhalten widerte mich an und ich wünschte mir, wenn schon nicht seinen Tod, dann doch eine sehr schmerzhafte Verletzung oder Krankheit, damit ich ihn nicht mehr ertragen musste. Mehr als den Dolchstoß, den er mir versetzt hatte.
Einen Moment überlegte ich mir, ihn einfach zu ignorieren, dann wurde mir bewusst, dass ich aktuell in den Armen des Mannes lag, der mir eine durchaus ernsthafte Verletzung zugefügt hatte und ich demnach aktuell nicht in bester Verfassung war. Abgesehen davon besaß ich momentan keine Waffen. Er schon.
Ich riss mich also zusammen und atmete tief durch. Konzentration fiel mir unter diesen Umständen schwer, denn meine Gedanken rutschten immer wieder zu dem brennenden Schmerz an meiner Seite ab. Dann versuchte ich, den üblichen neutralen Ton anzunehmen.
"Einer der Azallen ist mir ziemlich feindlich gesonnen gewesen", meine Stimme nahm einen leicht missbilligenden Ton an, "was kein Wunder ist nach den kürzlichen Geschehnissen. Ein anderer, ich nehme an, er hat eine höhere Position, schien Gewalt abgeneigt zu sein, zumindest hat er vollkommen davon abgesehen, mir Gewalt zuzufügen und sah nicht so aus, als wäre er in der Lage, einen Tod anzuordnen."
Ich fragte mich, warum ich ihm das erzählen musste, wobei es so einfacher war, den Schmerz auszublenden, obwohl ich bezweifelte, dass das Callums Absicht war. Ich runzelte die Stirn, als ich mich an Astraea erinnerte.
"Allerdings schien er nicht allzu viel Autorität inne zu haben. Eine Frau kam mit Essen vorbei, und ursprünglich hatte sie vor, mir neue Kleidung zu geben. Allerdings... wurde sie ebenfalls gefesselt. Nicht als Strafe, sondern als 'Vorsichtsmaßnahme'." Vielleicht war ich ja verrückt geworden. Erzählt klangen die Ereignisse surrealer als erlebt. "Ein kleines Kind war außerdem da. Und später eine Schwangere..." Ich erinnerte mich recht gut an sie und ihr merkwürdiges... Ein leises "Oh" entfuhr mir und ich fuhr mir mit glasigem Blick an die Schläfe.
Ich spürte Callums durchdringenden Blick auf mir und schloss noch einmal kurz die Augen, um mich zu sammeln.
"Sie legte mir ihre Hände an die Schläfe", erklärte ich ruhig, "und ich nehme an, dass sie Anteil daran hat, dass ich keine Erinnerungen an das Vorherige habe. Zumindest nehme ich nicht an, dass ich grundlos keine sonstigen Erinnerungen habe... Ansonsten noch die Frau, die mich zu dir gebracht hat. Das ist alles."
Ich schloss kühl ab und sah ihm herausfordernd in die Augen. Mir war klar, dass diese Informationen kaum als solche betitelt werden konnten und nur wenig bis keinen Wert besaßen, aber ich hatte es ihm zumindest alles mitgeteilt.

~~~

Eine Weile erwiderte ich Eders Blick ausdruckslos und verarbeitete das Gesagte, ohne sie daran Anteil haben zu lassen. Ihre Schilderungen klangen unzusammenhängend und wirr. Nicht ganz sicher, worauf diese Tatsache zurückzuführen war, lenkte ich meinen Blick wieder geradeaus, wo in der Ferne bereits die ersten Türme des Schlosses zu erkennen waren. "Namen hast du keine gehört?", fragte ich nach einigen weiteren Momenten der Stille, ehe ich mich kurz versicherte, dass mein provisorischer Verband noch an Ort und Stelle saß. "Du weißt, was du sagen musst, oder?"

~~~

"Kilian und Astraea", antwortete ich müde und folgte Callums Blick. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass man bereits die Zinnen des Schlosses sehen konnte, wir waren bald da.
Ich sah ihn widerwillig an. Meine Antwort fiel monoton aus: "Ich bin in einen Kampf geraten, wurde verletzt, habe aber überlebt."
Ich sah ihn nicht an. "Würdest du mich jetzt herunter lassen. Ich möchte nicht so im Schloss ankommen."
Nicht in den Armen Callums. Verletzt war eine Sache, aber dies... das war einfach nur erniedriegend.

~~~

Nicht die Namen, die ich hatte hören wollen. "Zu ungenau. Herrje, vermutlich wäre es klüger dich erst zurückzubringen, wenn du im Fieberwahn bist." Ich unterdrückte ein genervtes Aufseufzen, doch nur wenige Augenblicke darauf, brachte Eder mich dazu, es nicht mehr zurückhalten zu können. "Wenn du fröhlich ins Schloss marschierst, könnte man sich fragen, warum du nicht von selbst zurückgekommen bist.", wiederholte ich meine Aussage von zuvor ein wenig deutlicher. Offenbar musste man der Frau jede Offensichtlichkeit wie einem Kleinkind erklären. Warum hatte ich sie gleich nochmal nicht getötet. Ach, ja...
"Nachdem du dich selbst versorgt hast, hast du das Bewusstsein verloren. Du bist erst zu dir gekommen, als ich dich gefunden habe.", griff ich das vorangegangene Thema wieder auf und sprach nun eindringlicher, weil unser Ziel in immer greifbarere Nähe rückte. "Und falls es dir immer noch widerstrebt getragen zu werden, kann ich gerne nochmal zu meinem Vorschlag von vorhin zurückkommen." Ein Grinsen schlich sich auf meine Züge, ehe ich meine Mimik wieder kontrollierte und zusammen mit Eder das Herz des Königreichs betrat. Augenblicklich suchte ich die nähere Umgebung ab, um mich von dem Ballast zu befreien. "Theo!" Welche Ironie, dass gerade er mir als erstes ins Auge fiel. Ohne zu zögern, überwand ich die Entfernung zu dem Soldaten und drückte ihm das verlorengegangene Schäfchen in die Arme. "Hier. Soweit ich gehört habe, sprechen die Frauen in den höchsten Tönen von dir, also bist du vermutlich der bessere Mann für diese Aufgabe." Dann blickte ich noch einmal zu der Soldatin, die mich vermutlich am liebsten in tausend Stücke zerrissen hätte. "Und nicht sterben, klar.", zwinkerte ich ihr zu, klopfte Theo beim Vorbeigehen leicht auf die Schulter und machte mich sogleich auf den Weg mich um meine dringlicheren Angelegenheiten zu kümmern.

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#158

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 30.05.2017 23:07
von Neyl • Admin | 37.081 Beiträge




Gleich als ich den Gefängnistrakt betrat, wusste ich, dass sich meine Befürchtungen bestätigt hatten. "Was ist passiert?", knurrte ich, wartete jedoch nicht ab, bis einer der Soldaten mir eine Antwort darauf gab, sondern lief sofort weiter und stoppte vor der Zelle, die zu meiner Erleichterung nicht leer war. Meine Miene verfinsterte sich jedoch, als ich den Zustand des Azallen bemerkte. Jemand hatte offenbar erneut meine Befehle missachtet. Während ich mich darum bemühte meine Atmung ruhig zu halten, spürte ich den vorwurfsvollen Blick der Azalle auf mir, die an Ethans Seite kniete und deren ehemals weißes Kleid mittlerweile mehr an die Bekleidung eines Henkers erinnerte. "Ist Corboz hierfür verantwortlich?", hörte ich mich einen Moment darauf fragen und die Dunkelhaarige zögerte kurz, ehe sie zu einer Antwort ansetzte. "Ich glaube nicht..." Skeptisch wanderte meine Augenbraue Richtung Haaransatz, als Aneela sich jedoch unerwartet erhob und vor dem Gitter zum Stehen kam. "Einer von ihnen hieß Adam. Der andere war ein großer Kerl, langer Bart, auffällige Narbe an seiner rechten Wange. Der Dritte ist leicht an einem Stück Holz zu erkennen, das aus seinem Hals ragt. Um den solltest du dich nicht mehr kümmern müssen." Ich musterte die Azalle vor mir, deren Augen mich entschlossen fixierten. "Gut...", erwiderte ich und ein kurzes Lächeln huschte mir dabei über die Lippen, welches meine Gegenüber ungerührt zur Kenntnis nahm. Das beseitigte auch den letzten Zweifel daran, dass sie genau wusste, was mit diesen Männern jetzt passieren würde. Also beließ ich es bei einem Nicken, ehe ich meine Schritte wieder hinauslenkte und mich auf die Suche nach den Soldaten machte, die ihr Handeln definitiv noch bereuen würden.

Kurz darauf zog ich die Aufmerksamkeit der Menschen, die sich auf dem Hof herumtrieben auf mich, als ich die beiden Soldaten, die Aneela mir beschrieben hatte, achtlos mit dem Gesicht voran zu Boden warf. Beide waren von der Wut gezeichnet, die mich angesichts ihres Ungehorsams überkommen hatte, doch jetzt hatte sich mein Ärger größtenteils gelegt und ich genoss die nachfolgenden Augenblicke in vollen Zügen. "Wisst ihr, Anweisungen zu befolgen ist eigentlich keine allzu komplizierte Sache...", sagte ich mit erhobener Stimme, trat zwischen die beiden Männer und zog mein Schwert hervor. Den Bruchteil einer Sekunde später, durchbohrte dessen Klinge bereits die Hand des Kerls zu meiner rechten. Den Schmerzensschrei ignorierend, fuhr ich unbehelligt fort. "Doch scheinbar nicht so leicht, wie ich angenommen habe." Ich zog meine Waffe wieder heraus und umrundete die Verwundeten, bis ich an der Seite des anderen Mannes zum Stehen kam und ihn mit einem Tritt auf den Rücken beförderte. "Die rechte oder die linke Hand?", fragte ich amüsiert und beobachtete zufrieden, wie sich Adams Augen vor Entsetzen weiteten. Ein leises Wimmern kam über seine Lippen und ich schnaubte abfällig. "Dann eben beide..."
Blut befleckte den Boden, während die Menge um uns herum den Atem anhielt und niemand wagte sich auch nur zu bewegen. "Schön...", bemerkte ich, meine Schritte wieder zu Thorben lenkend, der versuchte kriechend seinem Schicksal zu entkommen. "Du willst es also schnell hinter dir haben, oder?", fragte ich, als ich mich ihm in den Weg stellte und grinsend in die Hocke ging. "Der Körper ist schon faszinierend...so viele Verletzungen, die zu einem raschen Tod führen. Und genauso viele, die das nicht tun." Ich richtete mich wieder auf, fuhr mit der Spitze meines Schwerts über den Rücken des Feiglings und bohrte diese tief in das Fleisch, als ich die richtige Stelle erreicht hatte. "Das wird durchaus ein paar Stunden dauern...", informierte ich den röchelnden Mann, ehe ich mich wieder meinem anderen Opfer widmete. "Ihr habt verdammtes Glück, dass ich heute wenig Zeit habe." Ich wiederholte die Prozedur, wischte das Blut von meiner Waffe und sagte, ohne einen der Anwesenden anzusehen. "Lasst sie liegen, bis sie tot sind. Sonst könnt ihr euch gleich dazu reihen..." Dann wandte ich mich ab, überquerte den Platz und machte mich auf die Suche nach der Frau, die nach Angaben der beiden Soldaten ein sehr gefährliches Spiel spielte.


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#159

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 02.06.2017 22:29
von Neyl • Admin | 37.081 Beiträge




Darum bemüht nicht wieder einzuschlafen betrachtete ich den Rücken der Azalle, die soeben meine Peiniger ohne mit der Wimper zu zucken verraten hatte. Ich zweifelte nicht daran, dass sie wusste, was jetzt mit den Männern geschehen würde. Schließlich hatten wir bereits am Vortag eine Kostprobe davon bekommen, was mit denjenigen geschah, die seine Befehle missachteten. Falls uns die Flucht tatsächlich gelingen sollte, standen die Chancen also gut, dass er Echoaids Truppen in einem Anfall von Rage abrupt dezimieren würde. Nur hoffentlich war die Dame von vorhin schlau genug sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
„Hey... Aneela...“
Mittlerweile hatte ich mich halb aufgesetzt und stützte mich dabei mit beiden Händen am Boden ab. Ich hasste den erbärmlichen Zustand, in dem ich mich gerade befand. Gleichzeitig machte mir die Frau vor mir Sorgen. „Hey... ich brauch dich hier mal kurz. Muss dir was erklären, falls ich nachher nicht mehr... kann sein, dass ich auf dich angewiesen bin.“ Ein leises Lachen entfuhr mir, welches jedoch recht schnell in ein Husten überging. „Dauert auch nicht lange...“

~~~

Ich verharrte schweigend an Ort und Stelle; blickte Callum nur regungslos nach und verspürte nicht den Hauch von Reue, ihm diese Soldaten ans Messer geliefert zu haben. Erst nach mehreren Augenblicken wurde mir bewusst, wie erschreckend diese Tatsache war und erschüttert ließ ich meine Stirn gegen das kalte Eisen sinken und schloss die Augen. „Hey... Aneela...“
Fragend drehte ich mich zu Ethan um, dessen Zustand sich kontinuierlich zu verschlechtern schien und trat augenblicklich an seine Seite, als seine Erklärung in ein röchelndes Husten überging. "Du solltest dich schonen...", bemerkte ich leise und legte meine Hand behutsam an seinen Arm, um ihm zu bedeuten bedachtsamer mit seinen Kräften umzugehen. Eine der wenigen Stellen, die noch unversehrt waren, wie mir einen Moment später auffiel und wieder kam mir der Gedanke, dass es nichts zu bedauern gab. "Ich habe gerade eh nichts anderes zu tun.", erwiderte ich mit einem resignieren Lächeln und versuchte das ungute Gefühl zu verdrängen, dass sich bei seinen Worten in mir ausbreitete. "Und komm ja nicht auf die Idee mir zu sagen, dass ich dich zurücklassen soll. Einen weiteren Schlag würdest du vermutlich nicht überstehen."

~~~

Ein erleichtertes Seufzen entfuhr mir, als die Dunkelhaarige erneut an meine Seite trat und ich ihre warmen Finger an meinem Oberarm spürte. Ich hätte gelogen, wenn ich behauptet hätte, dass ich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit nicht genoss. Wären wir uns unter anderen Umständen begegnet, hätte der Tag vielleicht einen ganz anderen Lauf genommen. Doch so blieb mir nicht viel anderes übrig, als ihr zuzulächeln; in der Hoffnung ihre trüben Gedanken vorrübergehend zu zerstreuen. Am Ende war jedoch sie diejenige, die mich ein weiteres Mal zum Lachen brachte.
„Mich zurücklassen? Nie im Leben... als würde ich mir den Spaß entgehen lassen die Gesichter der Azallen zu sehen... wenn wir ihnen sagen, dass wir das unmögliche geschafft haben...“
Ächzend lehnte ich mich an die Zellenwand hinter mir und betrachtete die Azalle einige Augenblicke lang nachdenklich, ehe ich leise zu erklären begann.
„Sobald es dunkel wird, kümmere ich mich um die Zellentür. Ansonsten... das Werkzeug ist in dem Strohhaufen versteckt. Wenn wir draußen sind, müssen wir tiefer in den Trakt hinein... dann nach links... sie... sprach von einer Einbuchtung im Stein, die einen Durchgang öffnet. Der Pfad sollte uns in den Wald führen.“
Meine Miene wurde etwas ernster, als ich meine Finger auf ihre Hand an meinem Arm legte und diese vorsichtig umschloss.
„Von da aus musst du ohnehin Wegweiser spielen... bei meinem Glück führe ich uns sonst noch zurück zum Schloss oder geradewegs in die Arme von einem der Bluthunde hier...“

~~~

Vermutlich hätte mich Ethans scherzhafte Bemerkung beruhigen sollen; doch das ungute Gefühl hielt Bestand. Deshalb beschränkte ich mich auf ein mattes Lächeln, während ich ihn dabei beobachtete, wie er sich mühevoll in eine halbwegs erträgliche Position verlagerte. Abwartend erwiderte ich seinen nachdenklichen Blick und wollte gerade nachfragen, was er mir erzählen wollte, als er mir jedoch zuvorkam und erklärte, wie sein Plan lautete. "Sie" war vermutlich die Frau, die Ethan vor Schlimmerem bewahrt hatte und ich konnte nur hoffen, dass ihr Eingreifen keine Konsequenzen für sie haben würde. Allein der Gedanke, dass Callum ihr nicht wohlgesonnen war, bescherte mir eine unangenehme Gänsehaut und ein wenig irritiert, weil ich kurz den Faden verloren hatte, blickte ich auf meine Hand hinunter, die Ethan umschlossen hatte. „Von da aus musst du ohnehin Wegweiser spielen... bei meinem Glück führe ich uns sonst noch zurück zum Schloss oder geradewegs in die Arme von einem der Bluthunde hier...“
"Keine Angst. Sorge nur dafür, dass du unterwegs nicht verloren gehst, dann bringe ich dich wohin du willst.", erwiderte ich ein wenig ernster, als beabsichtigt und richtete meine Augen von unseren Fingern auf sein Gesicht. Es fiel mir schwer mein schlechtes Gewissen auszublenden, wenn die Person, der ich vermutlich das größte Leid zugefügt hatte, permanent anwesend war. Nicht, dass Ethan mir auch nur ansatzweise das Gefühl gab, als wäre ich an seiner jetzigen Situation schuld, auch wenn dem zweifelsohne so war. Doch sein Körper wies mittlerweile kaum noch Stellen auf, die mich nicht an diesen Umstand erinnerten. Noch ehe ich es verhindern konnte, entwisch mir ein leises Seufzen. "Ich stehe mittlerweile bei vielen Leuten in der Schuld. Aber du arbeitest dich gerade an die Spitze hoch, weißt du..."

~~~

„Das sollte ich hinkriegen...“, erwiderte ich mit einem knappen Nicken; erleichtert darüber, dass ich das spärliche Wissen rechtzeitig an sie weitergegeben hatte. Ich hatte zwar nicht vor vorzeitig den Geist aufzugeben, vor allem nicht so kurz vor dem Ziel. Aber in Anbetracht der jüngsten Ereignisse war es schwer abzusehen, ob und was uns noch bevorstand, ehe wir versuchen konnten aus diesem Loch zu entkommen. Aneelas leises Seufzen lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Azalle vor mir. "Ich stehe mittlerweile bei vielen Leuten in der Schuld. Aber du arbeitest dich gerade an die Spitze hoch, weißt du..." Das unerwartete Geständnis bewirkte, dass einer meiner Mundwinkel sich kurz erhob.
„Hm... gefällt mir... ich war noch nie an der Spitze einer Bestenliste. Vor allem, wenn ich dafür kaum etwas tun muss.“
Auch, wenn es vielleicht nicht ganz angebracht war, zeichnete meine Lippen ein schiefes Grinsen, welches selbst der bleierne Geschmack auf meiner Zunge nicht aufzulösen vermochte. Vorsichtig löste ich ihre Hand von meinem Arm und zog sie auf meinen eigenen Schoß. So fiel es mir leichter mit meinem Daumen über ihre Finger zu streichen, die weiche Haut nachzufahren und dabei nicht den Bezug zur Realität zu verlieren. Oder die Gänsehaut auszublenden, die sich allmählich auf meinem Körper ausbreitete.
„Wenn es sich nach diesem Mist einrichten ließe, würde ich dich gerne besser kennen lernen, Aneela. Du scheinst ein nettes Mädchen zu sein. Also... hast du jemanden da draußen? Jemanden, der auf dich wartet? Ehe ich noch ungewollt in irgendein Fettnäpfchen trete...“

~~~

Ob sich der Dunkelblonde tatsächlich nicht darüber klar war, welche Rolle er gerade unfreiwillig eingenommen hatte? Oder nahm er es einfach als selbstverständlich hin? Noch während ich versuchte zu ergründen, was davon zutraf, registrierte ich seine unerwartete Bewegung und betrachtete Ethan ein wenig verunsichert, auf dessen Schoß ich mich abermals wiederfand. Die Nähe zu ihm war weniger befremdlich, als man vielleicht vermuten sollte und doch irritierte mich sein Verhalten. Die böse Vorahnung in mir schien sich mit jeder weiteren Handlung seinerseits zu bestätigen, weshalb mir ein leises, erleichtertes Lachen entrang, als ich seine wahren Absichten erkannte. "Nutzt du die letzte Chance, bevor deine Konkurrenz wieder größer wird?", entgegnete ich mit einem amüsierten Kopfschütteln, lehnte leise seufzend meine Stirn gegen seine und atmete beruhigter aus, jetzt, wo sich meine Sorge ein wenig verflüchtigt hatte. Solange er noch zu Scherzen aufgelegt war, musste ich mir vermutlich keine allzu großen Sorgen machen. Dennoch wünschte ich mir, dass dieser Albtraum bereits hinter uns läge. Noch immer lächelnd löste ich mich wieder von meinem Zellengenossen und strich ihm ein paar verirrte Strähnen aus der Stirn, ehe ich ernsthaft über seine Worte nachgrübelte. "Kein Fettnäpfchen...", entgegnete ich leise und unweigerlich huschten meine Gedanken zu dem Mann, der mich einst vor eben diesem Schicksal bewahrt hatte, in dessen Fängen wir derzeit gefangen waren. "Es sei denn Gabriel hat mir einen versteckten Antrag gemacht, als er mich als seine Frau bezeichnet hat, aber das halte ich eher für unwahrscheinlich.", fuhr ich noch immer erheitert fort und ließ meine Gedanken zu jenem Abend schweifen, der eine Ewigkeit her zu sein schien. Soviel hatte sich in dieser kurzen Zeit verändert. Das Lächeln auf meinen Lippen erstarb und resigniert ließ ich meinen Kopf gegen Ethans Schulter sinken. "Du solltest schlafen. Du fängst an wirres Zeug zu reden..."

~~~

Meine plötzlichen Fragen bewirkten ein leises Lachen ihrerseits. Zufrieden betrachtete ich Aneelas entspannte Züge und fragte mich insgeheim, wie lange ich noch imstande sein würde dieses Lächeln aufrechtzuerhalten. Die Umstände machten es mir zumindest nicht allzu leicht. Und die Zeit drängte. Das flaue Gefühl in meinem Magen wurde nur noch verstärkt, als sie unerwartet ihre Stirn gegen meine lehnte. Trotzdem blieb meine Miene unverändert, als ich zu einer leisen Antwort ansetzte.
„Natürlich… wir werden nicht jünger… und wenn ich daran zurückdenke, wie viele Kerle mir schon eisige Blicke zuwarfen, bloß weil ich mich in deiner Nähe befand… nur ein Narr würde da sein Glück nicht versuchen…“
Sobald sie die Verbindung auflöste, blickte ich erneut zu der Dunkelhaarigen, die mir wie beiläufig einige verklebten Strähnen von der Stirn strich. Selbst, wenn ich wollte, wäre ich wahrscheinlich nicht imstande gewesen das jungenhafte Grinsen aus meinem Gesicht zu verbannen. Abgelenkt lauschte ich ihren nächsten Worten und schaubte, sobald der erste männliche Name fiel. Gabriel. Ich erinnerte mich an unsere kurze Begegnung. Ich wollte gerade zu einer kecken Erwiderung ansetzen, als Aneelas Lächeln unerwartet erstarb und sie ihre Stirn an meiner Schulter lehnte. Ihre Haltung hatte sich verändert. Ebenso, wie die Tonlage ihre Stimme, als sie mir riet noch etwas zu schlafen.
„Ich… rede auffällig oft wirres Zeug… das muss nicht unbedingt am Fieber liegen.“
Seufzend zwang ich meine müden Knochen zu einer Regung und legte vorsichtig meine Arme um die junge Frau, die gerade im Begriff war in ein dunkles Loch zu rutschen. Ich bemühte mich die aufkeimende Wut darüber nicht an die Oberfläche sickern zu lassen, als ich sie noch etwas näher an mich zog und begann leise zu sprechen.
„Hmmm… das wird schon. Morgen um diese Zeit sind wir längst in Sicherheit… und du wirst dich bei deinen Freunden darüber auslassen können, wie der Fremdling versucht hat dich mit fiesen Tricks zu einem Date zu überreden. “
Die Arme locker um ihren Rücken behaltend, lehnte ich langsam mein Kinn an ihren Kopf und konzentrierte mich auf die Wärme, die von ihr ausging.

~~~

„Ich… rede auffällig oft wirres Zeug… das muss nicht unbedingt am Fieber liegen.“ Ein schwaches Lächeln huschte über meine Lippen und ich nickte zustimmend. An dieser Tatsache gab es wenig zu rütteln. Ein Seufzen unterdrückend, drehte ich mein Gesicht ein Stück zur Seite, als Ethan seine Arme um mich schlang, woraufhin die Wunde über meinen Auge protestierend zu pochen begann. Wer wusste schon, was uns als nächstes erwartete? Ob uns die Flucht tatsächlich gelingen würde, war immerhin durchaus fraglich. Also schob ich jede Vernunft zur Seite und genoss die Nähe, die an diesem düsteren Ort das einzig Tröstliche darstellte. "Sehr fiese Tricks...", murmelte ich, mit geschlossenen Augen und gab mich für den Moment dieser Illusion hin, die mich nach kurzer Zeit in den Schlaf begleitete.


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zuletzt bearbeitet 02.06.2017 22:49 | nach oben springen

#160

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 02.06.2017 22:41
von Pummel • Eumelchen <3 | 295 Beiträge



Als ich Katelyns Gemach am heutigen Tag aufsuchte, war die Tür verschlossen. Dieser Umstand hinderte mich jedoch nicht daran, das Zimmer erneut ungefragt zu betreten. Noch ehe die Tür ins Schloss gefallen war, entdeckte ich die Dunkelhaarige auf dem Fenstersims und zögerte nicht einen Moment, meinem Frust über ihre Torheit Luft zu machen. "Warum klopfst du nicht gleich an Eochaids Tür und bittest ihn, dich zu deinen Freunden in die Zelle zu stecken?", knurrte ich missbilligend, blieb in geringem Abstand vor ihr stehen und blickte der Närrin finster entgegen. "Wenn du einen schnellen Tod willst, kann ich das auch gleich hier und jetzt erledigen.", fuhr ich gereizt fort und stützte mich mit einer Hand neben ihrem Kopf ab, den sie trotz meines Auftauchens noch immer gegen den Fensterrahmen gelehnt hatte. Für einige Sekunden hielt ich den Blickkontakt unverändert aufrecht, dann gab ich meine bedrohliche Haltung mit einem leisen Seufzen auf und ließ stattdessen meine Augen über ihr gekennzeichnetes Gesicht wandern. "Also, was ist passiert?"

~~~

Eigentlich hätte es mich nicht verwundern sollen. Und doch schreckte ich zusammen, als die Tür zu meiner Kammer unerwartet aufflog und Callums minder begeistertes Gesicht vor mir auftauchte. Ein wenig irritiert betrachtete ich ihn, während er seinem Frust Luft machte und, vor mir angekommen, sogar vorschlug Henker zu spielen und mich an Ort und Stelle endgültig zum Schweigen zu bringen. Noch während ich meine möglichen Antworten abwog, veränderte sich seine Haltung unerwartet. Er wollte wissen, was geschehen war. In Anbetracht seine vorangegangen Worte wäre es wohl keine allzu gute Idee seine Geduld auf die Probe zu stellen. Selbst, wenn mich der Gedanke irgendwie reizte.
„Einer der Soldaten hat den Gefangenen wiedererkannt... hat wohl etwas mit dem Verschwinden seines Trinkkumpanen zu tun. Echoaids Soldaten sind nicht wirklich für ihre Geduld oder die Fähigkeit schlüssige Entscheidungen zu treffen bekannt.“, erwiderte ich langsam, ohne meine Augen von ihm abzuwenden.
„Ich habe nur sicherstellen wollen, dass deine Befehle nicht missachtet werden... zumindest nicht mehr, als ohnehin schon.“ Für einen kurzen Augenblick zierte meine Lippen ein süßes Lächeln, welches angesichts der Schmerzen jedoch recht schnell wieder erstarb. Stattdessen entwich mir ein leises Seufzen, als ich die Augen schloss und mit meinen Fingern über den versteiften Nacken strich.
„Die Schreie vorhin... ich vermute mal du hast etwas damit zu tun?“
Langsam beugte ich mich zu der Schüssel zu meinen Füßen herunter und ergriff mit meinen Fingerspitzen den nassen Lappen, um meine Beschäftigung von vorhin wieder aufzugreifen.
„Geschieht ihnen wohl recht.“

~~~

Aufmerksam lauschte ich Katelyns Schilderung der Geschehnisse, ohne dabei eine Regung auf meinem Gesicht zuzulassen. Erst ihre spitze Bemerkung entlockte mir ein warnendes Aufblitzen in meinen Augen, gefolgt von einem süffisanten Kräuseln meiner Lippen. Ich behielt meine Gedanken jedoch für mich und verfolgte stattdessen, wie meine Gegenüber sich in den Nacken griff und sichtlich angeschlagen den Auswirkungen ihrer Verletzungen entgegenwirkte. Noch immer stillschweigend beobachtete ich ihre Bewegungen und lächelte erneut, als sie ihre Sicht der Dinge preisgab. "Schon die zweite Dame, die keinen Widerspruch einlegt.", bemerkte ich beiläufig und richtete meine Aufmerksamkeit auf ihre Wange, die sie mit einem feuchten Tuch bearbeitete. "Du wirst nachlässig." Für einen Moment huschte mein Blick zu ihren Augen, ehe ich mich wieder ihrer Verletzung zuwandte, mit meiner freien Hand ihr Kinn umschloss und in meine Richtung drehte. "Lass mal sehen.", forderte ich die junge Frau auf und musterte die geschundene Haut, als sie ihren Arm gehorsam sinken ließ. "Du solltest mehr Acht auf dein hübsches Gesicht geben.", murmelte ich, während meine Finger langsam ihren Hals hinunterwanderten und dann abrupt an ihrem Schlüsselbein innehielten. "Kann ich mich darauf verlassen, dass du den Zellen jetzt fernbleiben wirst?"

~~~

Anfangs behielt ich den Blick gesenkt, während Callum zu einer Erwiderung ansetzte. Ich konnte mir denken wen er mit der zweiten Frau meinte. Und auch die Tatsache, dass sie dem Schicksal der Soldaten nicht nachtrauerte, verwunderte mich nicht im Geringsten. An ihrer Stelle hätte ich nicht anders gehandelt. Azallenkodex hin oder her.
"Du wirst nachlässig."
Irritiert wanderten meine Augen zu dem undurchdringbaren Pendant meines Gegenübers, der nun meine Wange in Augenschein nahm. Überrascht, öffnete ich die Lippen einen Spalt breit und ließ dabei langsam frische Luft in meine Lungen einströmen, als seine Finger mein Kinn umschlossen und es bestimmt zu sich drehten. Es kostete mich Mühe bei seiner Aufforderung nicht die Augen zu verdrehen. Widerwillig ließ ich meinen Arm mit dem Lappen wieder sinken und ließ zu, dass er sich an dem Anblick sattschaute. Ich war mir nicht ganz sicher, was ich von seinem darauf folgenden Kommentar halten sollte. Viel lästiger waren jedoch seine Fingerkuppen, die eine Gänsehaut auf meiner Haut erzeugten, während er diese wie selbstverständlich meinen Hals hinabgleiten ließ. Darum bemüht mir nichts anmerken zu lassen, senkte ich den Blick wieder und strich mit meinem Daumen fahrig über den Lappen in meiner Hand.
"Kann ich mich darauf verlassen, dass du den Zellen jetzt fernbleiben wirst?" Ich zögerte kurz, ehe ich den Kopf ein Stück zur Seite drehte, ohne dabei zu ihm zu schauen.
„Das hatte ich eigentlich vor, ja...“, gab ich leise zu und zwang mich nun doch langsam den Blick zu heben. Zumindest so lange, bis meine Augen auf seinem Unterarm haften blieben, den vereinzelte, frische Blutsprenkel zierten. Zweifellos Spuren der Auseinandersetzung von vor wenigen Minuten. Mit gemischten Gefühlen betrachte ich das Bild vor mir und ehe ich mich versah, hob ich bereits den Arm mit dem Lappen und wischte die Flecken mit einer flüchtigen Bewegung von seiner Haut. Eine Reaktion, die mich selbst die Stirn runzeln ließ.
„Solange du im Schloss bleibst, sollte wohl niemand mehr auf dumme Ideen kommen...“

~~~

„Das hatte ich eigentlich vor, ja...“,erwiderte Katelyn wenig überzeugend, weswegen meine Augenbraue augenblicklich in die Höhe schnellte. Doch die junge Frau war zu sehr damit beschäftigt einen scheinbar wahllosen Punkt zu fixieren, um meine Zweifel an ihrer Aussage zu registrieren. Ich wollte sie gerade ein weiteres Mal ermahnen vorsichtiger mit ihrem Leben umzugehen, als meine Gegenüber unerwartet das Tuch in ihren Händen über eben jene Stelle gleiten ließ, die sich als meinen eigenen Unterarm herausstellte. Sofort versteifte sich mein Körper und stirnrunzelnd betrachtete ich die Dunkelhaarige, die diese Geste fast augenblicklich widerspiegelte. Amüsiert darüber, zuckten meine Mundwinkel verdächtig und ich lauschte ihren weiteren Worten, die meine Laune noch weiter hoben. "Ich denke nach eben, werden sie nicht riskieren wollen, dass ich mir Zeit nehme...", erwiderte ich mit gesenkter Stimme und ließ dabei meine Finger behutsam über die gezeichnete Haut gleiten. "Vielleicht hätte ich mir doch noch etwas mehr Zeit nehmen sollen.", hörte ich mich meine Gedanken im nächsten Moment preisgeben, ehe ich abrupt meinen Arm wieder zurückzog. "Es gibt noch eine Sache, um die ich mich heute kümmern muss. Denkst du, du schaffst es in dieser Zeit keine weiteren Dummheiten zu machen?", fragte ich Kate wieder in meiner Ausgangsposition verharrend. Zugegeben, die junge Frau vor mir war eine Variable, die es noch genauer zu erkunden galt und doch weckte gerade dieser Umstand meine Neigung, Herausforderungen zu begrüßen.

~~~

Am Ende war ich mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich wissen wollte, was Callum mit den Soldaten angestellt hatte oder wozu er letztlich überhaupt imstande war. Er war einer dieser Männer, die man nicht einfach so einer Kategorie zuordnen konnte. Sein jetziges Verhalten, die vorsichtige Berührung, die er meiner verletzten Wange zuteilwerden ließ, stand im direkten Kontrast zu dem, was ihn augenscheinlich ausmachte. Es gefiel mir nicht, dass er mir unter die Haut ging. Dass ein kleiner Teil von mir seinen Aussagen Glauben schenken wollte. Deshalb war ich auch erleichtert, als er seinen Arm schließlich abrupt zurückzog und somit etwas Abstand zwischen uns aufbaute.
„Denkst du, du schaffst es in dieser Zeit keine weiteren Dummheiten zu machen?"
So langsam kam ich mir wie ein kleines Kind vor. Glaubte er denn wirklich, dass ich ohne ihn keine fünf Minuten aushalten würde? Mit einem leisen Seufzen strich ich mir mit der freien Hand die Haare nach hinten und betrachtete den Mann vor mir eindringlich.
„Immer was zu tun, was? Ich denke ich komme schon klar. Das hat die letzten Jahre über auch schon ganz gut funktioniert.“, erwiderte ich halbwegs gefasst, ehe ich den Lappen mit einem Platschen zurück in der Schüssel landen ließ.

~~~

"Es gab ein paar Verzögerungen, deshalb hat sich mein Zeitplan ein wenig verschoben.", gab ich lediglich als Antwort zurück, ehe ich sie abschätzig zu mustern begann. "Wie auch immer du das geschafft hast...", bemerkte ich tonlos und betrachtete meine Gegenüber einige Sekunden lang, in denen ich versuchte ihre Gedanken zu ergründen.
Sie hatte ihre feindliche Haltung größtenteils abgelegt und ich war mir nicht ganz sicher, ob sie resigniert hatte oder das zu einem größeren Plan gehörte. Beide Möglichkeiten hatten zumindest ihren ganz eigenen Reiz. Während der nächsten Augenblicke verfinsterte sich mein Blick jedoch kontinuierlich und ich näherte mein Gesicht dem ihren, ehe ich zu sprechen begann. "Komm mir einfach nicht in die Quere..."

~~~

Abwartend blickte ich zu dem Stück Stoff, welches sich augenblicklich mit Wasser vollsog und spürte dabei Callums Blick auf mir. Seine Erwiderungen waren meistenteils inhaltslos; Floskeln, die man aussprach, um keine unnötige Stille aufkommen zu lassen. Um seinen Gegenüber nicht in Verlegenheit zu bringen. Wobei ich mir ziemlich sicher war, dass dieser Aspekt hier nicht zutraf. Reglos wartete ich also darauf, dass er sich auf den Weg machen würde, um seinen Angelegenheiten zu regeln. Doch stattdessen registrierte ich, dass der Dunkelblonde mir erneut näherkam. Und als ich schließlich den Blick hob, stellte sich verwirrt fest, dass ich einen entscheidenden Wendepunkt verpasst hatte. Meine Alarmglocken schrillten auf, während er seine Drohung aussprach. Perplex presste ich die Lippen kurz aufeinander, ehe mir ein leises Seufzen entfuhr. Irgendwie schaffte ich es seinem Blick standzuhalten.
„Ich dachte du hast es eilig.“

~~~

Das habe ich...", erwiderte ich und meine Mundwinkel zuckten amüsiert. Dennoch behielt ich meine Position bei und beobachtete kurz jede kleine Regung in Katelyns Gesicht. Jedes verdächtige Pulsieren ihrer Adern. Jede unbewusste Geste ihres Körpers. Der innere Kampf, der sich in ihren Augen widerspiegelte. "Keine Sorge, ich werde noch genug Zeit haben, mich eingehend mit dir zu beschäftigen.", versprach ich ihr flüsternd, ehe ich mich langsam wieder von ihr entfernte und meine Schritte Richtung Ausgang lenkte. "Du weißt, wo du mich findest, wenn du was brauchst.", bemerkte ich, noch immer mit einem breiten Grinsen, ehe ich die Tür hinter mir zuzog und die Dunkelhaarige ihren Gedanken überließ.

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#161

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 06.06.2017 19:09
von Venhedis • Höllenfürstin | 38 Beiträge



Überrascht drehte ich mich zu Callum um, der mir sogleich eine verwundete Frau, Eder, wie ich einige Sekunden später erkannte, in die Arme drückte. Weder sah ich ihm nach, noch überlegte ich lange, was wohl passiert sei, als ich mich eiligst auf den Weg ins Schloss machte. Mein Blick wanderte immer wieder zu der Frau in meinen Armen um mich zu versichern, dass sie noch wach war. "Die Frage, ob alles in Ordnung sei spar ich mir jetzt lieber mal und komme gleich zu Was ist passiert? " Die Gänge waren zwar nicht allzu voll, aber der Krankenflügel war noch immer einige Minuten entfernt und irgendwie musste ich sie im Wachzustand halten, falls die Heiler
Fragen hatten, die ich vermutlich nicht beantworten könnte.



Ich wollte sterben, als wir am Schloss angelangten. Mit einer Hand auf meine Seite presste ich die Zähne zusammen, sowohl vor Schmerz als auch vor Wut.
„Theo“, ließ Callum verlauten und erschrocken drehte ich den Kopf, ehe ich von Callum in Theos Armen über wanderte, was sich als sehr unangenehm herausstellte. Zwar war mir Theo am liebsten, aber ich hätte mir angenehmere Umstände gewünscht, um in seinen Armen zu liegen, nicht diese.
Theos Frage erinnerte mich noch einmal daran, wieso. Ich fürchtete, wenn ich nicht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten wollte, musste ich Theo anlügen, und das gefiel mir ganz und gar nicht.
Kurz schloss ich die Augen und atmete einmal tief durch, in der Hoffnung, meine Mimik bliebe schön neutral trotz Schmerz und Widerwillen.
„Ich wurde im Kampf verwundet“, erwiderte ich dann knapp. „Allerdings scheine ich mein Bewusstsein verloren zu haben, jedenfalls hat mich heute Callum gefunden.“
Ich hoffte, das klang nicht zu gestellt, allerdings schaffte ich es nur schwer, meine Abneigung Callum gegenüber zu kaschieren, die seit heute immens gestiegen war. Und ich hatte Angst, etwas Falsches zu sagen, vor allem, weil es mir aktuell schwer fiel, wirklich klare Gedanken zu fassen.
Angesichts seines besorgten Gesichtsausdruck zog ich eine Augenbraue hoch.
„Mir geht es übrigens den Umständen entsprechend gut, also zieh nicht so ein Gesicht, als würde ich gleich in deinen Armen sterben.“
Mit der Hand, die nicht auf meiner Verletzung ruhte, rieb ich mir müde durchs Gesicht und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich musste furchtbar aussehen.


Ich war mir fast absolut sicher, dass sie mich anlog. Keine weiteren Schnittwunden, das meiste Blut war frisch und an so einer Wunde würde man nicht sofort sterben. Jeder halbwegs erfahrene Kämpfer würde das wissen. Entweder starb man einige Stunden danach an zu großem Blutverlust oder man überlebte noch einige Tage unbehandelt, bis eine Infektion sich ausbreitete. Und ein unerfahrener Kämpfer hätte sie vermutlich nicht so überraschen können.
Meine Gedanken behielt ich jedoch erst einmal für mich, sie hatte bestimmt ihre Gründe gehabt, mir die Wahrheit zu verschwiegen, was nicht hieß, dass es mir weniger wehtat ... metaphorisch gesprochen.
"Den Umständen entsprechend kannst du froh sein, noch die Augen noch aufmachen zu können", meinte ich und spielte einfach mit. "Und ich sorge mich nunmal um dich, wenn du schwer verwundet in meine Arme gedrückt wirst, da musst du dich wohl oder übel dran gewöhnen", antwortete ich ihr und musste doch leicht lächeln.
Immerhin ging es ihr noch gut genug um mich zu belehren.
Vorsichtig drückte ich die letzte Tür auf, die uns noch von den Heilern trennte, und rief sogleich nach einem.


Ich schmunzelte aufgrund seiner Aussage, allerdings verging mir das recht schnell wieder.
Theos Ruf wurde von einer robusten Heilerin befolgt, die mich ein wenig abseits hinsetzte und Theo einen mehr als schiefen Blick zuwarf, ehe ich ihr bedeutete, dass mir seine Anwesenheit durchaus lieb war. Sie murmelte einen Kommentar, den ich nicht ganz verstand, und half mir dann aus Rüstung und Hemd heraus, das ich wohl wegschmeißen konnte, dank Callum. Dabei hatte ich ohnehin schon so einen hohen Verschleiß.
„Das muss genäht werden“, verkündete die Heilerin und ich warf Theo ein gequältes Lächeln zu, während sie davoneilte und mit einer Schüssel voll Wasser und einer Flasche zurückkam, den sie mir hinhielt. Während ich mich betrank, was ich normalerweise vermied, wusch sie die Wunde aus und zückte dann Nadel und Faden. Ich suchte Theos Hand, fand und drückte sie und schloss die Augen.
Ich hatte das Bedürfnis zu schreien, stattdessen zerdrückte ich seine Hand und konzentrierte mich auf den Druck von ihm, um mich zusammenzureißen. Kaum zu glauben, dass eine Nadel, von der ich jede Bewegung spürte, stärker schmerzte als Callums Messerstich. Es währte vor allem länger.
Als sie endlich fertig war, eine Salbe draufgeschmiert und einen Verband angelegt hatte, fühlte ich mich einfach nur noch müde und der Alkohol dämpfte den stechenden Schmerz an meiner Seite ab.
Erschöpft aufatmend lehnte ich mich an Theos Schulter.


Sogleich schenkte ich Eder ein Lächeln und versicherte ihr, dass es ihr danach wenigstens etwas besser gehen würde. Natürlich war das kein immenser Trost, aber besser als gar nichts, zumindest hoffte ich das. Ich schloss ihre Hand in meine beiden und erwiderte ihr Drücken alle paar Augenblicke, um ihr etwas anderes zu geben, auf das sie sich konzentrieren könnte als auf die Stiche.
Zum Glück war die Wunde nicht allzu groß und so brauchte sie auch nicht allzu viele Nadelstiche, wobei die, die sie hatte aushalten müssen, wohl schmerzhaft genug waren. Außer sie hatte einen anderen Grund, meine linke Hand zu zerdrücken, wobei ich das später sicherlich nicht ansprechen würde. Genäht zu werden tat nun mal verdammt weh, dafür sollte sich Eder nicht auch noch schlecht fühlen. Der Druck um meine Hand ließ nach und erschöpft lehnte sie sich an mich.
Behutsam und darauf achtend, die Fäden nicht zu irritieren, legte ich einen Arm um sie und lehnte meinen Kopf an ihren.

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#162

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 09.06.2017 11:22
von Neyl • Admin | 37.081 Beiträge





Erleichtert registrierte ich Polas Rückkehr, wenn dieses Gefühl auch nicht von langer Dauer war. Wir hatten eine weitere Niederlage einstecken müssen, denn ich wusste genau, dass Aneela mit Eders Freilassung kein Stück geholfen war. Immer wieder ertappte ich mich bei dem Gedanken, mich eigenhändig zum Schloss aufzumachen, um den wahnwitzigen Versuch zu starten, meine Schwester zu befreien. Doch jedesmal wurde mein Vorhaben durchkreuzt. Azallen, die um Hilfe ersuchten. Verletzte, für die es zu versorgen galt. Zornige Männer, die nach Rache sehnten. Immer wieder war ich gezwungen, die erhitzten Gemüter zu beruhigen und geriet dabei nicht selten ebenfalls ins Kreuzfeuer. Längst nicht alle waren damit einverstanden, dass mir die Verantwortung zugefallen war und liebend gerne hätte ich meinem Unmut darüber, dass ich diese Stellung gar nicht wollte, freien Lauf gelassen. Doch damit wäre niemandem geholfen gewesen. Also verdrängte ich meinen eigenen Zorn so gut es ging; beruhigte aufgebrachte Azallen, legte mir aufmunternde Worte zurecht, an die ich selbst nicht glaubte. Mir blieb keine Zeit, mich mit meinen eigenen Empfindungen auseinanderzusetzen und als die nächste Nacht schließlich anbrach, fiel ich unzufrieden und erschöpft in mein Bett, ohne auch nur ein weiteres Wort mit jenen gewechselt zu haben, nach deren Nähe ich mich sehnte.


Liebe ist nur eine weitere Methode anderen Leid zuzufügen <3
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#163

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 09.06.2017 20:32
von Neyl • Admin | 37.081 Beiträge





"Nun, da ihr Ältester tot ist und Aneela in unserer Gewalt, sind sie angreifbarer als je zuvor. Der Großteil besteht ohnehin nur noch aus Alten und Kindern, also sollte es kein allzu großes Problem darstellen auch die letzten zu beseitigen, sobald einer von beiden geredet hat.", setzte ich meinen Bericht weiter fort und verfolgte, wie die Lippen des Königs sich zu einem zufriedenen Lächeln formten. "Es überrascht mich, dass sie bereits jetzt schon so viele Informationen preisgegeben hat. Wie ich höre, habt ihr sie noch recht glimpflich behandelt.", bemerkte Eochaid und nun war ich es, dessen Mundwinkel erheitert in die Breite gingen. "Die richtigen Druckmittel haben schon immer zu mehr Erfolg geführt, als sinnlose Gewalt. Diese Azallen sind Wilde ohne bemerkenswerten Scharfsinn, aber auch standhaft. Etwas, dass der Hauptmann nicht zu unterscheiden weiß." Ich bemühte mich nicht einmal, meine Missbilligung über Corboz zu verschleiern. Es war schließlich auch nicht das erste Mal, dass ich meine Meinung über ihn so offen kundtat und mein Erfolg verschaffte mir das Recht, dies ungestraft tun zu können. Allein die Vorstellung vor diesem Mistkerl kriechen zu müssen, war untragbar und schnell lenkte ich meine Aufmerksamkeit wieder auf wichtigere Dinge. "Wenn ihr mir gestattet Hoheit, das...", fing ich an, als laute Geräusche vor dem Saal mich zum Schweigen brachten. Meine Hand automatisch an den Griff meines Schwert legend, beobachtete ich die verschlossene Tür, die wenige Sekunden darauf mit einem lauten Knall aufschlug. Der Rothaarige Soldat, der für diesen Lärm verantwortlich war, stolperte über die Schwelle und rang atemlos nach Luft. Dann presste er Worte hervor, die den König augenblicklich aufspringen ließen. "Hoheit, jemand ist in das Gemach eures Sohnes eingedrungen!" Noch ehe der junge Mann weitersprechen konnte, folgten weitere panische Schritte und zwischen den vielen aufgebrachten Stimmen, hörten wir eindeutig das Wort "Feuer" heraus. "Der Eindringling konnte fliegen...", keuchte Tarly, dessen weitere Worte in einem langen, gellenden Schrei untergingen. Gemeinsam mit einigen anderen Soldaten, folgte ich unserem König in den Gang hinaus. Ich kämpfte mich durch die aufgeregte Meute, die vor dem Rauch floh, der sich langsam durch die Flure schlich und als wir das Zimmer des Prinzen erreichten, bot sich dem König ein furchtbarer Anblick. Seine Frau Clarisé hielt ihren Erstgeborenen im Arm, aus dessen aufgeschlitzter Kehle noch immer einige Bluttropfen ihren Weg ins Freie suchten. Während Eochaid untätig auf dieses Bild starrte, löste ich mich von seiner Seite, zog die Königin von ihrem ältesten Sohn weg und blickte ihrem Mann eindringlich in die Augen. "Ihr müsst euch und eure Familie in Sicherheit bringen, Hoheit!", erinnerte ich das Oberhaupt an die momentane Gefahr, ehe ich Clarisé in seine Obhut begab und einen der Diener fixierte. "Wo sind Balain und Maureen?"

~~~

Abwesend verfolgte ich die Gespräche der Soldaten um mich herum, während ich die Karten auf meiner Hand sortierte. Innerhalb der letzten Stunden hatte es keine weiteren Auseinandersetzungen mehr gegeben. Die Leichen der beiden Soldaten, die sich Callums Anweisungen widersetzt hatten, waren längst beiseite geräumt worden. Niemand verlor auch nur ein Wort darüber. Ein Tag, wie jeder andere auch. Das dachte ich zumindest, bis aus dem nichts Chaos ausbrach. Mein Magen zog sich augenblicklich zusammen. Doch meine Befürchtung die Flucht der beiden Gefangenen sei misslungen verflüchtigte sich in dem Moment, als ich die schwarzen Rauchschwaden sah, die von einem der Türme aufstiegen. Die erschütternden Neuigkeiten folgten Schlag auf Schlag. Der Königssohn war ermordet worden. Im nächsten Augenblick hörte ich bereits Corboz‘, der völlig außer sich mit chaotischen Befehlen um sich warf. Mit einem leisen Fluch auf den Lippen, sprang ich auf die Beine und heftete mich an die erstbeste Gruppe von Soldaten, die dazu beauftragt worden war das Feuer zu löschen. Gemeinsam gelang es und die Flammen zu ersticken, ehe sie sich auf benachbarte Räumlichkeiten ausbreiten konnten. Als ich anschließend auf den großen Platz trat, hatte sich die Lage weitestgehend beruhigt. Sofern dies in Anbetracht der jüngsten Ereignisse überhaupt möglich war. Wer um alles in der Welt war lebensmüde genug, um ein Attentat auf den Erstgeborenen von Eochaid erfolgreich zu verüben und dann auch noch davonzukommen? Meine Miene verdunkelte sich, als ich merkte, was mich in Wahrheit an den Geschehnissen störte. Unzufrieden trat ich an den Brunnen und schöpfte etwas Wasser, um mir das verrußte Gesicht auszuwaschen und dabei möglichst im Blickfeld herumstreunender Soldaten zu bleiben.

~~~

Abwartend lehnte ich gegen das kalte Gemäuer und betrachtete die Königsfamilie, zu deren Schutz ich im Thronsaal verweilte. Eine ermüdende Arbeit, denn ich bezweifelte, dass einer von ihnen derzeit in Gefahr schwebte. Desinteressiert schweifte mein Blick zu einem heraneilenden Soldaten, der dem König mitteilte, man hätte das Feuer erfolgreich eingedämmt. Wieder lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf die trauernde Familie, auch wenn ich dieses Gefühl nur bedingt nachvollziehen konnte. Der Erstgeborene war ein Bastard gewesen, der die weibliche Dienerschaft belästigt und jeden hatte auspeitschen lassen, dem in seiner Gegenwart ein Missgeschick passiert war. Deshalb hielt sich mein Mitleid in Grenzen. Nicht, dass ich sowieso nicht gerade für mein mitfühlendes Wesen bekannt war.
Viel interessanter für mich war deshalb der nächste Tumult, der sich ankündigte und stirnrunzelnd betrachtete ich den Eingang der Halle, die der Hauptmann kurze Zeit später mit seiner Anwesenheit beehrte. "SIE SIND WEG!" Das Lächeln, dass sich angesichts seines hochroten Kopfs auf meine Züge geschlichen hatte, erstarb bei seinen Worten und augenblicklich richtete ich mich auf und trat ein paar Schritte vor. "DIE GEFANGENEN SIND ENTKOMMEN!", wütete Corboz aufgebracht und schien in seiner Rage ganz zu vergessen, dass er gerade seinem Herrscher gegenüberstand. Abwartend blickte ich zu Eochaid, dessen Auge sich zu Schlitzen verengten. "Wie konnte das passieren?"
Mir fiel es schwer zu sagen, welcher der beiden Männer gerade mehr Zorn verspürte. Nachdenklich verfolgte ich das darauffolgende Gespräch, bis ich plötzlich die Augen des Königs auf mir wahrnahm. "Was denkt ihr?"
"Nun...", fing ich an und versuchte mein Amüsement darüber zu verbergen, dass der Hauptmann gerade übergangen wurde. "Dass die Gefangenen geflohen sind, in dem Moment, als das Feuer ausbrach erscheint mir mehr als nur ein Zufall zu sein.", fuhr ich bestätigend fort und richtete meinen Blick kurz zu einem der Fenster, die den Archadewald in seiner ganzen Größe präsentierten. "Wenn dem so ist, würde ich vorschlagen, dass man den Mörder eures Sohnes nicht außerhalb der Mauern sucht. Viel wahrscheinlicher ist, dass sie Hilfe von innerhalb bekommen haben." Ich konnte förmlich sehen, wie die Ader an Corboz Schläfe gefährlich zu zuckten begann. "Aber wie haben sie es unbemerkt hinausgeschafft?", zischte der Hauptmann und schien jegliche Zurückhaltung verloren zu haben. "Wer sagt, dass sie nicht noch hier sind? Vielleicht sollte man das Schloss durchsuchen lassen. Und ein paar Soldaten aussenden, die die nähere Umgebung erkunden. Sollten sie bereits tiefer im Wald sein, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ihr sie wieder einfangt. Sie kennen ihn deutlich besser, als wir."
Corboz ließ ein verächtliches Schnauben ertönen, ehe der König zustimmend nickte und die beiden Soldaten an seiner Seite augenblicklich den Thronsaal verließen. "Das ist nur eure Schuld!", giftete der Hauptmann und meine Augenbrauche huschte überrascht in die Höhe bei seiner Anschuldigung. "Wenn ihr mich gleich mit diesem Gesindel hättet verfahren lassen, wie ich es wollte, wüssten wir bereits, wo ihr Versteck ist!"
Nun schaffte ich es nicht mehr, mein Lächeln zu verbergen. "Weil ihr bisher auch so erfolgreich gewesen seid, nicht wahr.", entgegnete ich und näherte mich dem Besagten. "Es reicht!" Ich unterbrach meinen Weg und wir blickten uns einige Sekunden lang voller Verachtung an, ehe ich mich an den König wandte. "Verzeiht eure Hoheit.", presste der Hauptmann zwischen seinen Zähnen hervor, marschierte Richtung Ausgang und ich sah gerade noch aus den Augenwinkeln, wie der rothaarige Tarly den aufgebrachten Mann um eine kleine Unterredung bat.

Gerade, als ich mich auf den Weg machen wollte, um das Schloss nach dem Eindringling zu durchkämmen, wie mit König Eochaid besprochen, kehrte der Hauptmann abermals zurück. Diesmal jedoch in Begleitung einer jungen Dame, die man selten im Thronsaal zu Gesicht bekam. Begleitet von einer kleinen Eskorte (offenbar hatte Corboz genauso viel Respekt vor ihren Messern, wie ich), führte man Kate hinein und stieß sie unsanft vor Eochaids Füße. Mein Körper versteifte sich, doch ich unterdrückte meinen Ärger und verfolgte stattdessen, wie der König erzürnt nach dem Grund dieses Auftritts verlangte. "Diese Frau war an einem Zwischenfall beteiligt, der sich heute mit den Gefangenen abgehalten hat. Außerdem wurde eine verdächtige Person in der Nähe des Gemachs eures Sohnes gesehen, auf die ihre Beschreibung passt."
Schweigend beobachtete ich, wie die Angeklagte ihre Schultern straffte und das Wort erhob. „Mit Verlaub, Eure Hohheit, zum besagten Zeitpunkt befand ich mich auf dem großen Platz bei einigen Soldaten. Mindestens ein halbes Dutzend davon kann dies bezeugen.“ Corboz ließ ein Schnauben verlauten, doch ich hielt meine Augen auf die Dunkelhaarige gerichtet, die ihren Blick senkte und etwas leiser fortfuhr. „Und wenn Ihr mit Zwischenfall die Situation meint, bei der ein paar Soldaten bewusst Befehle ignoriert und einen der Gefangenen aus seiner Zelle gezerrt und überfallen haben, dann war ich daran beteiligt ja. Ich nahm an, dass ein toter Gefangener der Sache nichts nutzen würde. Daher habe ich eingegriffen.“ Abermals ließ der Hautpmann Laute des Zweifels von sich. "Worten Glauben zu schenken, von einigen Soldaten, denen ihr eure nächtlichen Dienste angeboten habt?", lachte er hämmisch auf und fixierte Katelyn voller Abscheu. "Wir werden sehen, was sie sagen, wenn sie sich vor ihrem König verantworten müssen!"
"Soldaten zu glauben, die Angst haben ihren Hauptmann zu erzürnen, klingt natürlich weitaus vertrauenserweckender.", bemerkte ich sarkastisch und richtete nun meinen Blick zu Eochaid. "Eure Hoheit, ich habe euch von besagtem Zwischenfall erzählt, bei dem Corboz Männer den Gefangenen fast getötet und damit unser einziges Druckmittel zu nichte gemacht hätten. Und um auch das letzte Missverständnis aus dem Weg zu räumen. Ehe ich euch aufsuchte, habe ich sie selbst auf dem Platz gesehen. Wie sie sagte. Es ist gerade zu lächerlich zu denken, dass diese Frau euren Sohn ermordet und das Feuer gelegt hat, in dieser kurzen Zeit. Der Versuch eures Hauptmanns seine Fehler auszumerzen, indem er verzweifelt nach einem Schuldigen sucht ist außerdem nicht nur erbärmlich, sondern zeigt deutlich auf, warum dieses ganze Chaos erst entstanden ist. Immerhin obliegt es seiner Aufgabe für eure Sicherheit zu sorgen. Oder das eurer Familie..."
Ohne auf Corboz wütende Äußerungen zu reagieren, hielt ich den Blickkontakt mit dem Herrscher Cerandíls aufrecht und wiederholte seine Geste, als er mir wortlos zunickte. "Gut, dann werde ich mich jetzt um dringlichere Angelegenheiten kümmern. Wie etwa den wahren Schuldigen zu finden." Den hasserfüllten Blick des Hauptmanns auf mir spürend, trat ich auf Katelyn zu, umfasste ihren Oberarm und führte sie mit mir hinaus. "Keine Sekunde kann man dich aus den Augen lassen...", zischte ich genervt, führte sie so weit es ging vom Thronsaal weg und ließ sie in einer abgelegenen Ecke wieder los. Den Blick finster über ihre Erscheinung schweifend, richtete ich meine Augen noch immer missmutig auf ihr Pendant. "Hat er dir was getan?"

~~~

Die Lippen fest aufeinandergepresst stierte ich einige Augenblicke lang zu Callum hoch und begegnete seinem Blick mit einer verzerrten Miene. Um nichts Unüberlegtes zu tun, verschränkte ich die Arme kurzerhand vor meiner Brust und strich mit meinem Daumen abwesend über die Stelle, an der er mich bis eben noch festgehalten hatte. „Nein, er kam noch nicht so weit.“, erwiderte ich leise, darum bemüht die aufwallenden Emotionen nicht nach außen dringen zu lassen. Doch trotz meines Beschlusses spürte ich nur zu deutlich meinen rasenden Puls; wie das Blut in meinen Ohren rauschte und die Wut meine eigene Vernunft trübte. Am meisten störte mich wohl, dass ich es nicht hatte kommen sehen. Und dann war da natürlich auch noch der Mann vor mir, der alles in seiner Macht stehende tat, um mich aus dem Gleichgewicht zu bringen.
„Falls du jetzt erwartest, dass ich reumütig meine eigene Schuld eingestehe, dann muss ich dich enttäuschen.“
Seufzend lehnte ich mich mit dem Rücken an die kühle Mauer hinter mir und schloss kurz die Augen, um meine Gedanken zu sammeln. Vielleicht wäre es ja besser gewesen, wenn ich diese flüchtige Chance genutzt hätte. Eine einfache, schnelle Handlung, deren Erfolg von Wahrscheinlichkeiten abgehängt hätte. Wenn man es so sah, hatte ich nichts mehr zu verlieren. Schließlich war es nicht so, dass meine jetzige Situation entscheidend besser war. Corboz hatte nach der Szene eben Blut geleckt und würde wahrscheinlich nicht ruhen, ehe er beendete, was er begonnen hatte. Und Callums schleierhafte Absichten versuchte ich gar nicht erst zu ergründen.
„Niemand hat dich darum gebeten…“

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Abwartend betrachtete ich meine Gegenüber, bis sie mir versicherte, dass der Hauptmann keine Gelegenheit dazu gehabt hatte, ihr ein Leid zuzufügen. Ich quittierte diese Erkenntnis mit einem stummen Nicken und rechnete fast damit, dass sie wieder irgendetwas Dummes tat. Wie damals, als sie sich schon einmal in die Ecke gedrängt gefühlt hatte. Doch sie beließ es bei einer barschen Bemerkung, die ich unbeeindruckt zur Kenntnis nahm. "Das ist auch nicht nötig...", erwiderte ich knapp, während Katelyn für kurze Zeit in ihren eigenen Gedanken zu versinken schien. Ich konnte nur ahnen, was sie gerade beschäftigte, doch hatte ich einen leisen Verdacht, in welche Richtung ihre Gedankengänge womöglich gingen. „Niemand hat dich darum gebeten…“
"Ich glaube das Wort nach dem du suchst ist ´danke´.", entgegnete ich und spiegelte ihre Körperhaltung, indem ich ebenfalls die Arme vor der Brust verschränkte. "Aber he, wenn es dir lieber gewesen wäre, ich hätte von deinem kleinen nächtlichen Ausflug erzählt, können wir gerne zurückgehen und es ihnen erzählen.", fuhr ich schulterzuckend fort und machte eine halbe Kehrtwendung und blickte ihr auffordern entgegen, mich zurück zum Thronsaal zu begleiten.

~~~

Kaum, dass die Worte meine Lippen verlassen hatten, bereute ich bereits das leise Zugeständnis von Schwäche. Denn es bot ein willkommenes Fressen für meinen Gegenüber, der sich augenblicklich darauf stürzte und schlussfolgerte, dass ich ihm für seine Unterstützung zu Dank verpflichtet war. Mir entwich daraufhin ein leises, abfälliges Schnauben. „Ja, träum weiter.“ Ohne meine Haltung zu verändern, betrachtete ich den Mann vor mir, der wohl gerade versuchte mich einzuschüchtern. Oder suhlte er sich einfach in dem Gefühl mir überlegen zu sein? Sein darauf folgender Vorschlag verstärkte nur noch diese Vermutungen und mit gemischten Gefühlen verfolgte ich, wie er sich halb von mir abwandte und geduldig darauf wartete, dass ich ihn an seinem Vorhaben hindern und damit zugeben würde von ihm abhängig zu sein. Oder begrüßte er etwa die Aussicht darauf sein Wissen schlussendlich mit dem König zu teilen? Ohne es wirklich zu merken, ballte ich meine Finger zu Fäusten.
„Du machst doch am Ende ohnehin das, was du willst…“, erwiderte ich schließlich resigniert, ehe ich mich von der Wand wegstieß und mich an dem Dunkelblonden vorbeischob. „Also hör auf den Anschein zu erwecken, als blieben mir irgendwelche Optionen.“

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"Da hast du nicht ganz unrecht.", gab ich schmunzelnd von mir, ehe die Dunkelhaarige sich an mir vorbeischob, was mich dazu veranlasste reflexartig nach ihrem Handgelenk zu greifen und sie noch näher zu mir zu ziehen. "Du hast mehr Optionen, als dir bewusst ist.", raunte ich ihr zu und war mir im ersten Augenblick selbst nicht sicher, was ich mit meinem Handeln beabsichtigte. Doch die kurzzeitige Unsicherheit machte schnell einer Einsicht Platz, die ich nicht leugnen konnte. "Ich weiß gar nicht, warum du so verstimmt bist. Immerhin ist alles so verlaufen, wie du geplant hattest. Deine Freunde sind entkommen und ich werde jetzt dafür sorgen, dass wir einen Schuldigen finden, um deine Unschuld zu untermauern." Ich ließ wieder von ihr ab, behielt jedoch meine Position bei und sah zu Katelyn hinunter, die genau wusste, wie schnell ich ihr Leben beenden könnte. Auf die eine oder andere Weise. "Und nein. Ich erliege nicht dem Trugschluss, dass du mir dafür danken wirst, keine Sorge."

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Mein Bestreben mich schnellstmöglich der ungewollten Situation zu entziehen scheiterte, als Callum mich mitten in der Bewegung zurückzog und ich mich unmittelbar vor ihm wiederfand. Ich erschauderte, als seine leise Stimme die Stille schließlich durchbrach. "Du hast mehr Optionen, als dir bewusst ist." Schon wieder diese ominöse Redensweise. Leere Worte, die dazu gedacht waren mit meinen Gedanken zu spielen. Frustriert biss ich mir auf die Unterlippe, während der Dunkelblonde zum Ausdruck brachte, dass er meinen Unmut nicht ganz nachvollziehen konnte. Schließlich waren die Gefangenen erfolgreich entkommen. Außerdem versprach er dafür zu sorgen, dass man mich nicht mehr verdächtigte. Eine Behauptung, die bewirkte, dass meine Augenbrauen sich abrupt zusammenzogen und ich den Mann vor mir verwirrt betrachtete. Sobald er den Griff lockerte, zog ich meinen Arm reflexartig zu mir, ohne den Blickkontakt dabei zu durchbrechen.
„Wenn alles nach meinem Plan liefe, hätte diese Unterhaltung niemals stattgefunden. Und mein Leben wäre nicht von deinen Launen abhängig.“, entwich mir bitter, ehe ich den Blick senkte und einen Schritt nach hinten auswich, um etwas Abstand zwischen uns zu gewinnen. Darum bemüht die Fassung zu wahren atmete ich tief durch. „Sag mir einfach, was du von mir brauchst und wir können dieser Farce ein Ende setzen. Der Tag war lang genug.“

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"Oh, aber so ist es doch gleich viel aufregender, findest du nicht.", gab ich kokett zurück, ehe meine Miene bei ihren nächsten Worten wieder ernster wurde. "Ich weiß nicht wovon du redest. Du hast schließlich alles getan, was ich wollte. Und jetzt revanchiere ich mich dafür, bis...du mir wieder nützlich wirst." Einen Moment betrachtete ich meine Gegenüber abwartend, ehe ich den Blickkontakt unterbrach und nachdenklich zur Seite schaute. "Du hast recht, es war ein langer Tag. Und es gibt noch ein paar Dinge, die mich brennend interessieren würden, aber das muss warten. Außer du willst mich begleiten. Ansonsten weißt du, wo du auf mich warten kannst." Ihr kurz zuzwinkernd, setzte ich meine Füße in Bewegung, ob sie mein Angebot nun annahm oder nicht. Solange wir dem König keinen Schuldigen bieten konnten, war jeder im Schoss ein potentieller Verdächtiger und somit auch ich. Nicht, dass mich die Gefahr nicht reizen würde. Besonders nachdem alles sich zu meinen Gunsten entwickelte. Aber wir waren gerade erst am Anfang.

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Natürlich war er meiner Frage ausgewichen. So langsam hatte ich das Gefühl, als würde er mich bewusst provozieren wollen. Und ich dumme fiel jedes Mal aufs Neue darauf herein und wunderte mich darüber. Verdattert blickte ich nun Callums Rücken hinterher und wusste im ersten Moment nicht, wie ich reagieren sollte. Die Flut aus Widersprüchlichkeiten, die er soeben auf mich abgeworfen hatte, hatte mir jegliche Luft aus den Segeln genommen. Anstatt mehr Sinn zu ergeben verstand ich nach jedem unserer Gespräche immer weniger. Einem Reflex folgend machte ich ein paar Schritte in seine Richtung, nur um dann abrupt zum Stillstand zu kommen. Sobald seine Silhouette aus meinem Sichtfeld verschwand, wandte ich mich stöhnend um und entfernte mich mit schnellen Schritten von der Stelle, die ich von nun an wahrscheinlich meiden würde.
Natürlich hielt die Vernunft nicht lange an. Zu der Erkenntnis gelangte ich, als ich kurze Zeit später bereits Callums Kammer erreicht hatte. Als hätten mir die Erfahrungen der letzten Tage nicht ausgereicht, hoffte ich immer noch auf Antworten. Irgendwas, was es mir ermöglichen würde einen Sinn aus diesem ganzen Chaos zu ziehen. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass niemand in absehbarer Nähe war, schob ich die Tür zur Kammer auf und trat hinein. Augenblicklich empfing mich die mittlerweile vertraute Dunkelheit, mit der Ausnahme, dass ich dieses Mal vorbereitet war. Vorsichtig stellte ich die kleine Öllampe auf dem Tisch ab und nahm mir etwas Zeit mich in dem kahlen Raum zu orientieren. Es war kaum zu glauben, dass in dieser unscheinbaren Kammer der Mann lebte, vor dem selbst der König Respekt zu haben schien. Ein Wahnsinniger, den ich gerade zu ergründen versuchte. Machte mich das nicht zu der eigentlichen Närrin dieses Stückes? Mit einem Kopfschütteln verwarf ich diesen Gedanken und ließ mich seufzend auf der Bettkante nieder. Ich war mir immer noch ziemlich sicher, dass dies eine schlechte Idee war. Und doch blieb ich an Ort und Stelle. Was machte ich eigentlich hier? Während ich vergeblich nach einer Antwort auf diese Frage suchte, strichen meine Finger flüchtig über das weiche Laken unter mir.

~~~

Als ich einige Stunden später zurückkehrte, hatte sich die Aufregung im Schloss noch immer nicht zur Gänze gelegt. Ungewöhnlich viele Wachen patrouillierten durch die Gänge, doch ich entschied, dass ich für meinen Teil genug beigetragen hatte und lenkte meine Schritte deshalb zielsicher zu meiner Kammer. Ich hatte so im Gefühl, dass die folgenden Tage kaum weniger ereignisreich ausfallen würden, weshalb ich ein wenig nötigem Schlaf allem anderen gerade vorzog. Als ich jedoch mein Ziel erreichte, kündigte der leichte Lichtschimmer, der unter der Tür durchschien, die nächste Überraschung an. Sie konnte doch unmöglich so lebensmüde sein, oder? Diese Frage wurde nur Augenblicke später beantwortet, als ich das Innere meines Gemachs betrat und die Dunkelhaarige im schummrigen Licht auf meinem Bett ausmachte. "Ich hoffe du hast nicht wieder vor mich anzugreifen. Wie du bereits sagtest. Es war ein langer Tag." Ohne großartig auf meine nächtliche Besucherin zu achten ging ich hinüber zu dem Tisch und begann meine Rüstung abzulegen. Obgleich mich ihr Auftauchen auf eine Art amüsierte, ließ ich mir dies nicht anmerken, als ich mich meines Hemdes entledigte und an die Wasserschüssel trat, um die Spuren des heutigen Tages von meinen Oberkörper zu waschen. "Du solltest Corboz vermutlich erstmal aus dem Weg gehen. Wie ich gehört habe, hat er seinen Frust zwar schon an einigen Soldaten ausgelassen, aber er scheint ein bisschen von...Sinnen.", bemerkte ich ruhig während ich das Tuch in meinen Nacken wandern ließ und meine Prozedur dann beendete, indem ich mit beiden Händen Wasser auf meine Haare beförderte. Mich meiner Stiefel entledigend, wandte ich mich erstmals der Frau zu, die noch immer an Ort und Stelle verweilte und kam dann direkt vor ihr zum Stehen. "Kluge Entscheidung.", lächelte ich matt, beugte mich zu ihr vor und legte meine Hände an ihre Taille. Bestimmt beförderte ich den zierlichen Körper nach hinten, um mir Platz zu verschaffen. Mich neben ihr ausstreckend, richtete ich meine Augen nach einer Weile zu Katelyn, seufzte kaum hörbar und schloss die Augen. "Also, warum riskierst du dein Leben für diese Leute?"

~~~

Ich fand es erstaunlich leicht die verstreichende Zeit mit sinnlosem Sinnieren zu überbrücken. In den vergangenen Tagen hatte sich mehr als genug ereignet. Das meiste davon hatte ich einfach hingenommen, ohne mir der Tragweite möglicher Konsequenzen dieser Veränderungen vor Augen zu führen. Nun jedoch, zu einem Zeitpunkt, in dem mir nichts anderes übrig blieb, als zu warten, sickerten diese Erkenntnisse allmählich zu mir durch. Annie war nach den Ereignissen auf der Lichtung nicht wieder aufgetaucht. Daher musste ich vorerst mit dem Schlimmsten rechnen. Ich hatte den Gefangenen zur Flucht verhelfen können. Doch was, wenn die Situation sich wiederholen sollte? Mit Annie hatte ich die einzige Person verloren, über die ich Kontakt zu den Azallen aufnehmen konnte. Eine der wenigen, die meinen Aufenthalt hier halbwegs erträglich gemacht hatten. Ich konnte doch nicht einfach alles über den Haufen werfen und ihre Aufgaben übernehmen; das war ich ihr am Ende auch nicht schuldig. Wieso fühlte es sich dann trotzdem genauso an?
Ich blickte auf, als ich irgendwann näher kommende Schritte hörte. Da ich seit längerem auf diesen Moment wartete, wirkte ich auch nicht sonderlich überrascht, als Callum in den Raum trat. Nachdem er eine kurze Warnung in meine Richtung ausgesprochen hatte, lenkte der Dunkelblonde seine Aufmerksamkeit bereits Wichtigeren Dingen zu. Ich betrachtete ihn dabei, wie er zum Tisch trat und sich seiner Rüstung entledigte. Ein Bild, welches Erinnerungen vom Vorabend wachrief. Diesmal folgte der schützenden Montur auch das Hemd. Während er sich abwandte und mit einem Lappen seinen Oberkörper auswusch, wanderten meine Augen über seinen Rücken, verfolgten die feinen Muskelstränge, die sich bei jeder seiner Bewegungen verformten. Seinen Ratschlag mich in nächster Zeit von Corboz fern zu halten quittierte ich mit einem leisen Schnauben. Wenn ich ehrlich sein sollte, konnte ich es dem Mann seinen Wahnsinn fast nicht verübeln. Er hatte diese Frau seit einer Gefühlten Ewigkeit verfolgt. Unzählige Male war sie ihm bereits entwischt. Und jetzt, nachdem sie von einem anderen gefasst worden war, hatte er den Gefangenen fern bleiben müssen. Und nun waren sie wieder weg. Falls ich eines Tages das Vergnügen haben sollte seinem Leben ein Ende zu bereiten, freute ich mich bereits auf sein Gesicht angesichts der Erkenntnis, wer ihm alles noch durch die Lappen gegangen war.
Nachdem er sich auch seiner Stiefel entledigt hatte, trat Callum aufs Bett zu und blieb schlussendlich vor mir stehen. "Kluge Entscheidung.", entwich ihm sichtlich amüsiert; wahrscheinlich eine Anspielung auf seine Warnung von zuvor. Ich wehrte mich nicht, als er seine Hände an meine Taille legte und mich einem Gegenstand gleichend zurechtschob, damit er sich gemütlich auf der Matratze neben mir ausstrecken konnte. Kurz spürte ich seinen Blick auf mir. Doch als ich den Kopf in seine Richtung drehte, hatte er die Augen bereits geschlossen.
"Also, warum riskierst du dein Leben für diese Leute?", fragte der Dunkelblonde unvermittelt. Ich war mir nicht ganz sicher, ob ihn die Antwort auf diese Frage wirklich interessierte. Wahrscheinlicher war, dass er erst mehr über mich erfahren wollte, ehe er mich dem Scharfrichter aushändigte. Mit einem tonlosen Seufzen zog ich eines meiner Beine an und begann die Schlaufen an meinem Stiefel zu lösen, ehe ich diesen in einer langsamen Bewegung von meinem Fuß streifte.
„Warum nicht? Vielleicht sehe ich Ungerechtigkeit einfach ungern.“
Mit einem Stirnrunzeln entledigte ich mich auch des zweiten Stiefels und legte beide Kleidungsstücke neben mir auf dem Boden ab. Ein Bein angezogen, das Kinn darauf abgestützt bewegte ich meine Augen wieder zu den Mann neben mir.
„Ich… kannte jemanden, dem sehr viel am Wohl dieser Menschen lag. Sie hatte das unbeschreibliche Glück sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf der Lichtung zu befinden. Ich glaube nicht, dass meine Beweggründe dir irgendwie helfen könnten.“
Unzufrieden darüber, dass ich überhaupt etwas gesagt hatte, presste ich kurz die Lippen aufeinander.
„Ich sollte wahrscheinlich gar nicht erst versuchen dir irgendwelche Fragen zu stellen?“, schlussfolgerte ich resigniert, ehe ich meinen Blick zu der kleinen Lampe auf dem Tisch richtete, deren Licht allmählich flackerte. Es würde wahrscheinlich nicht mehr lange dauern, bis die Flamme erlosch.

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Katelyn antwortete nicht sofort auf meine Frage. Stattdessen widmete sie sich ihren Stiefeln und aus irgendeinem Grund war ich nicht besorgt, dass sie mir jeden Moment eine Klinge an die Kehle drücken würde. Nicht, dass ich diese Option gänzlich ausschloss. Aber sie wirkte zurzeit eher erschöpft, als angriffslustig, weshalb ich meine Augen geschlossen hielt und geduldig auf ihre Erwiderung wartete. „Warum nicht? Vielleicht sehe ich Ungerechtigkeit einfach ungern.“
Ihre Aussage brachte mich dazu misstrauisch aus einem Auge zu ihr aufzublicken. Als sie ihr Gesicht meinem zuwandte, öffnete ich auch das Zweite und lauschte ihrer weiteren Erzählung, die mich nachdenklich gen Decke starren ließ. Besagte Freundin hatte sich also am vorangegangen Abend auf der Lichtung befunden und scheinbar dort ihren letzten Atemzug getan. Zweifelsohne wegen des Angriffes, den ich eingeleitet hatte. Stirnrunzelnd schob ich beide Hände unter meinen Kopf und betrachtete weiterhin wie gebannt die Lichtreflexe über mir. Erst ihre darauffolgenden Worte brachten mich wieder dazu, meine Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu lenken. „Ich sollte wahrscheinlich gar nicht erst versuchen dir irgendwelche Fragen zu stellen?“ Das kurze Zucken meiner Mundwinkel wurde schnell durch die Tatsache abgeschwächt, dass ihre Stimme gebrochen klang und um einiges ernster betrachtete ich die Züge der Dunkelhaarigen, die resigniert die Flamme der Lampe fixierte. "Du kannst es gerne versuchen.", hörte ich mich sagen und war versucht eine meiner Hände aus ihrer Position zu befreien, um sie nach ihr auszustrecken. Stattdessen verharrte ich jedoch unzufrieden, dass ich diesem Drang nicht nachgab und schloss abermals die Augen, ehe ich leise die darauffolgenden Worte aussprach. "Komm her."

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Es fiel mir zugegebenermaßen schwer nicht aufzulachen, als Callums Erwiderung an meine Ohren drang. Wenn es nach ihm ging durfte ich gerne versuchen Fragen zu stellen. Als ob ich dies nicht bereits versucht hätte. Seit er das erste Mal in meiner Kammer aufgetaucht war, tat ich im Grunde genommen nichts anderes. Bisher immer mit demselben Resultat. Seufzend schloss ich die Augen und verharrte reglos in meiner Position, während die Sekunden an mir vorbeizogen. Erst seine leise Aufforderung bewirkte, dass ich irritiert blinzelte und meinen Kopf ein Stück weit in seine Richtung drehte, um sicherzugehen, dass ich mich nicht verhört hatte. Doch die Haltung des Dunkelblonden blieb unverändert, seine Augen geschlossen. „Du hältst wohl ziemlich viel von dir selbst, was?“
Die Falten auf meiner Stirn verdichteten sich, als ich mich ihm zuwandte und eine meiner Hände neben ihm abstützte. „Der unfehlbare Callum, der alle dazu bringt nach seiner Pfeife zu tanzen.“, entwich mir beinahe im Flüsterton, während ich meinen Fuß über seinen Körper schob und mit angewinkelten Beinen auf seinen Hüften zur Ruhe kam. Meine Augen fixierten einen nicht vorhandenen Punkt an seiner Schulter, die Arme hatte ich kurzerhand an seiner Brust abgestützt. „Was nun?“

~~~

Ein leichtes Lächeln zeichnete sich in meinen Mundwinkeln ab, während Kates Worte ihr ambivalentes Verhalten noch unterstrichen. Anstatt mir das Gegenteil zu beweisen, folgte sie meiner Bitte und ihre leiser werdende Stimme war wie ein Versprechen, dass dies auch so bleiben würde. Ich konnte nicht bestreiten, dass ihre Berührungen mich nicht kalt ließen. Wen würden sie das schon. Und als sie fast auffordernd fragte, was ich nun zu tun gedachte, öffnete ich meine Augen und betrachtete das hübsche Gesicht vor mir, dessen sanfte Züge vom warmen Fackelschein zusätzlich betont wurden. Bei diesem Anblick veränderte sich das Lächeln auf meinen Lippen und ich löste eine meiner Hände aus ihrer Gefangenschaft, um die feinen Linien ungehindert nachfahren zu können. "In diesem Punkt sind wir uns vermutlich nicht so unähnlich. Corboz hatte nicht unrecht, was diese Sache betrifft. Welcher Mann würde sich nicht glücklich schätzen, dich in seinem Bett zu wissen." Meine Hand verweilte einige Augenblicke an ihrer Wange, während ich sie eingehend betrachtete und mich unweigerlich fragte, ob sie sich dieser Tatsache überhaupt bewusst war. "Ich kann es keinem verübeln.", murmelte ich abwesend, auch wenn ich darauf bedacht war, bei klarem Verstand zu bleiben. Meine Gespielin verabscheute mich vermutlich mehr als jeden anderen sonst und dabei kannte sie nicht mal die halbe Wahrheit. Den Feind in sein Bett einzuladen war daher eine Sache, die mit äußerster Vorsicht zu genießen war. Doch wie ich bereits gesagt hatte. Ich wollte mich nicht mal gegen das wehren, was sie in Männern auslöste. Der Gedanke, dass jemand anderes gerade an meiner Stelle sein könnte behagte mir jedoch nicht und ohne Vorwarnung, legte ich meine Finger um ihr Handgelenk und wechselte unsere Positionen. Schmunzelnd drückte ich sie mit meinem Gewicht tiefer in die Matratze und suchte ihren Blick. "Was willst du denn tun?"

~~~

Schließlich folgte auf mein Handeln eine Reaktion seinerseits. Callum schlug die Augen auf; auf seinen Lippen ein Lächeln, welches ich nicht ganz zuordnen konnte. Ich verharrte reglos auf ihm, während er wie selbstverständlich eine Hand nach meinem Gesicht ausstreckte und meine Wange, wie schon vor mehreren Stunden zuvor, in Beschlag nahm. Eine einfache Berührung, die bereits ein feines Kribbeln auf meiner Haut auslöste. Eine Tatsache, die ich mit einem leisen Seufzen quittierte. Seine Worte kamen überraschend. Zugeständnisse war man von ihm nicht gewohnt; sofern sie denn der Wahrheit entsprachen. Ich hatte da so meine Zweifel; zumindest ein Teil von mir. Aber auch das machte letztlich keinen wirklichen Unterschied.
Ich kam nicht mehr dazu etwas zu erwidern. Denn kaum, dass er seine Finger um mein Handgelenkt geschlossen hatte, fand ich mich bereits mit dem Rücken auf der Matratze wieder. Perplex schnappte ich nach Luft und betrachtete mit geweitetem Blick den Mann über mir, der danach fragte, was ich tun wollte. „Das weißt du.“, entwich mir nicht ganz überzeugend und ich war nicht sicher, ob es nun an ihm, der plötzlichen Nähe oder der Situation an sich lag. Unzufrieden über die Unzulänglichkeit meiner eigenen Gedanken presste ich die Lippen kurz aufeinander und versuchte die meisten der Eindrücke auszublenden. Doch mit den verstreichenden Sekunden kehrte auch die Einsicht zurück, dass manche Bestreben zwecklos erschienen. Meine Züge entspannten sich zusehends, den Augen gelang es schließlich sich von ihrem Pendant zu lösen und langsam ihren Weg über sein Gesicht fortzusetzen. Meine freie Hand fand darauf Platz, der Daumen fuhr kurz bedächtig über seine Unterlippe, das stoppelige Kinn. Schließlich kamen meine Finger auf seinem Nacken zur Ruhe. Mein Blick blieb gesenkt, als mir die nächsten Worte leise entwichen. „Ich bin mir selbst nicht mehr sicher, was ich will…“

~~~

Ihr Mienenspiel verriet vermutlich mehr über die Gedanken der Dunkelhaarigen, als ihr lieb war. Ein Umstand, der ihr selbst klar zu werden schien, interpretierte man ihren darauffolgenden Unmut richtig. "Das weiß ich...", wiederholte ich ihre Aussage, unklar, ob es nun eine Frage oder eine Feststellung war. Doch schon wenige Augenblicke darauf, schien Kate den inneren Kampf mit sich selbst ausgefochten zu haben. Ich konnte zusehen, wie sich ihre Mimik veränderte und die Dunkelhaarige nun ihrerseits auf Erkundung ging. Ein Umstand, der mich zufrieden aufbrummen ließ. „Ich bin mir selbst nicht mehr sicher, was ich will…“, sprach Katelyn einige Sekunden darauf diese offensichtliche Tatsache aus und verleitete mich damit zu einem weiteren Lächeln. "Vielleicht wird es dann Zeit, dir darüber klar zu werden...", gab ich leise zurück und betrachtete meine Gegenüber eine Weile nachdenklich, ehe ich meine Lippen für den Bruchteil einer Sekunde auf ihr Kinn legte und mich dann neben sie fallen ließ, um sie wieder frei zu geben. "Lass dir nur nicht zu viel Zeit.", seufzte ich, die müden Glieder von mir streckend, ehe ich mich wieder in die Ausgangsposition positionierte und mit einem Grinsen auf den Lippen die Augen schloss.

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Einige Augenblicke lang betrachtete ich abwesend meine Finger, die bis eben noch Callums Nacken umschlossen hatten. Nun lag er wieder neben mir; fast so, als hätten die Ereignisse der letzten Minuten gar nicht stattgefunden. Mit Ausnahme des selbstzufriedenen Grinsens, welches nun seine Lippen zierte. Ich verzog das Gesicht, während ich ihn aus den Augenwinkeln betrachtete.
„Du bist ein unheimlich anstrengender Mann.“, entwich mir seufzend, ehe etwas Schwung nahm und mit meinem Handrücken halbherzig gegen seine Brust schlug. Ein. Zwei. Ganze drei Mal, bis ich meinen Arm schließlich auf ihm zur Ruhe kommen ließ. Wie konnte mein Leben bloß so unheimlich schnell aus den Fugen geraten? Mir ein Beispiel an ihm nehmend, schloss ich ebenfalls die Augen.
„Eigentlich hätte ich erwartet du würdest jeden Augenblick der Schwäche schamlos ausnutzen.“, gab ich zu und war selbst überrascht darüber, dass mir daraufhin ein leises Lachen entwich. „Oder rechnest du immer noch mit einem Angriff?“

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„Du bist ein unheimlich anstrengender Mann.“
Noch ehe ich auf diese unerwartete Aussage etwas erwidern konnte, spürte ich bereits Katelyns leichte Schläge gegen meine Brust. War das die Art der jungen Frau ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen? Ich ließ ein amüsiertes Schnauben verlauten, als ihre Hand auf meiner Haut zum Ruhen kam und öffnete die Augen wieder, um sie ungestört betrachten zu können. Nun war sie diejenige, die ihre Lider verschlossen hielt, während ihre nächste Aussage mich nachdenklich die Stirn runzeln ließ. Doch die Brünette ließ mir keine Zeit, meine Gedanken weiter zu verfolgen und ihr gedämpftes Lachen verleitete auch mich wieder zu einem Schmunzeln. "Vielleicht...", gab ich vage zurück und drehte mich nach kurzem Zögern zu der Frau um, die mir vermutlich noch öfter den Schlaf rauben würde. "Wenn ich dir eine Frage ehrlich beantworten würde, wäre deine Neugier dann so weit gestillt, dass auch du beruhigt schlafen könntest?", hörte ich mich leise fragen und zupfte kurz an dem Bändel ihres Hemdes, ehe ich meine Hand abwartend zwischen uns ablegte.

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Vielleicht also. Wenn es denn so war, konnte ich ihm seine Vorsicht nicht einmal wirklich übel nehmen. Und wenn nicht, wäre ich ebenfalls nicht sonderlich überrascht. Trotzdem wollte sich das Bild noch nicht ganz zusammenfügen. Ich hörte das Rascheln der Laken, als er sich mir zuwandte und ich meinen Arm zurückzog, um ihm Platz zu machen. Doch erst seine Frage bewirkte, dass ich die Augen aufschlug und misstrauisch zu ihm blickte. „Käme wahrscheinlich auf die Frage an.“, entgegnete ich ehrlich und ließ meinen Kopf dabei zur Seite fallen, um ihn direkt ansehen zu können. Kurz wanderten meine Augen zu seiner Hand zwischen uns. „Und wäre davon abhängig, ob ich einen Grund finden sollte, um deinen Worten auch nur im Entferntesten Glauben zu schenken.“ Auch, wenn ich es nur ungerne zugab, hatte sein Vorschlag eine Flut von Fragen heraufbeschworen, die ich gerade nur schwer verdrängen könnte. „Im Augenblick bist du für mich ein großes Fragezeichen, welches mich jederzeit dem König oder Corboz ausliefern könnte. Gleichzeitig scheinst du aber auch der einzige zu sein, der zwischen mir und dem Schafott steht. Sofern diese Entwicklung nicht auch zu deinen Plänen gehört.“

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Ihre Aussagen lösten gänzlich unterschiedliche Dinge in mir aus, doch letztlich beschränkte ich mich auf die am stärksten ausgeprägte und erwiderte ihren Blick mit einem amüsierten Grinsen. "Interessante Theorie", bemerkte ich und ließ meine Augen über das Gesicht der jungen Frau gleiten, als im nächsten Moment die Flamme der Lampe erlosch und das Zimmer in Dunkelheit hüllte. "Wenn das stimmt, gäbe es vermutlich gerade keinen gefährlicheren Ort für dich, als hier zu sein...", fuhr ich leise fort, während meine Augen sich nur langsam an die neuen Lichtverhältnisse gewöhnten und ich deshalb nicht mehr als schummrige Umrisse von ihr ausmachen konnte. "Möglicherweise aber auch der Sicherste."
Meine Hand wanderte betont langsam über ihre Taille, ehe ich Kate ohne Vorwarnung zu mir herumdrehte und ihre Unterlippe für einen Moment mit meinen Zähnen einfing. Ein leises Lachen entrang meiner Kehle, woraufhin ich sie wieder freigab. "Aber wie du schon sagtest. Es ist egal, was ich dir erzähle. Du wirst nie wissen, ob ich die Wahrheit sage. Also werde ich jetzt schlafen. Und du wirst nichts Dummes anstellen." Mit diesen Worten löste ich auch meine Hand wieder von ihrem Körper, begab mich in die Ausgangsposition zurück und schloss die Augen, nicht ohne das Gespräch noch einmal gedanklich Revue passieren zu lassen.

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Ich konnte mich wohl glücklich schätzen, dass das Licht der kleinen Lampe zu so einem günstigen Zeitpunkt erloschen war. So konnte Callum zumindest nicht mehr sehen, was sein kleiner, unerwarteter Überfall bei mir ausgelöst hatte. Mit einem stummen Seufzen strich ich mir mit den Fingern über das Gesicht und bemühte mich darum nicht zu viel in seine Worte hinein zu interpretieren. Denn letztlich hatte sich nichts geändert. Ich war immer noch am Anfang. Nun, vielleicht nicht ganz. „Als könnte ich neben einem Wahnsinnigen ein Auge zudrücken.“, erwiderte ich schließlich trotzig, ehe ich ihm den Rücken zuwandte und die Augen schloss.


Liebe ist nur eine weitere Methode anderen Leid zuzufügen <3

zuletzt bearbeitet 09.06.2017 20:40 | nach oben springen

#164

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 09.06.2017 20:35
von Neyl • Admin | 37.081 Beiträge




Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf und brauchte einen Moment, um mich daran zu erinnern, dass wir uns nicht mehr auf der Lichtung befanden. "Tut mir leid.", murmelte ich noch etwas zerstreut Ethan zu, ehe ich alarmiert den Kopf hob. Ich wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, doch aus der Ferne hörte ich Geräusche, die mir sagten, dass nun der Moment gekommen war. "Ich glaube jetzt besteht unsere größte Chance.", hörte ich mich ernst sagen, richtete mich auf und lauschte dann auf verdächtige Laute in unmittelbarer Nähe. "Nur eine Wache...", raunte ich meinem Zellengenossen zu und setzte dann auch meine anderen verschärften Sinne ein. "Im Schloss ist ein Feuer ausgebrochen.", fuhr ich nachdenklich fort, als ich den kaum realisierbaren Rauch wahrnahm, der meinen Verdacht bestätigte. Ob diese Frau uns damit ein weiteres Mal geholfen hatte? Es schien eine zu günstig Gelegenheit zu sein, als dass ich es für einen Zufall hielt. "Wir müssen los."
Das Werkzeug lag wie Ethan beschrieben hatte, unter dem abgenutzten Stroh und es an mich nehmend, wandte ich mich an den Dunkelblonden, der zu meinem Leidwesen nicht annähernd so fidel aussah, wie erhofft. "Wird es gehen?", fragte ich ihn besorgt und bereit alles dafür zu tun, dass wir beide das Unmögliche gemeinsam bewerkstelligten.

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„Es muss...“, erwiderte ich leise und mit einem matten Lächeln; darum bemüht mir meine Abgeschlagenheit nicht anmerken zu lassen. Nickend nahm ich ihr den Dietrich und die paar Klammern ab und missbrauchte Aneelas Schulter als Stütze, um hochzukommen. Schwankend erreichte ich kurze Zeit später die Zellentür und lehnte mich seufzend dagegen, während ich das Werkzeug in meinen Händen zurechtlegte. „Sag Bescheid, falls jemand kommen sollte.“ Wenn ich ehrlich sein sollte, dann hatte Schlösser knacken noch nie zu meinen Stärken gezählt. Eine Tatsache, die ich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich bereute. Denn uns blieb kaum Zeit für Spielchen. Ein Fehler, eine unglückliche Fügung und all die Mühen wären umsonst. Und zum ersten Mal seit einer ziemlichen Weile war mir wirklich nicht danach kampflos aufzugeben. Mit einem leisen Schnaufen quittierte ich meine unsinnigen Gedanken und konzentrierte mich auf meine jetzige Aufgabe. Und als das erhoffte Klacken des sich öffnenden Schlosses schließlich ertönte, konnte ich nur mit Mühe ein leises Auflachen unterdrücken. Das war wahrscheinlich Wunder Nummer eins. Möglichst leise schob ich die Zellentür mit einem Arm auf, und blickte auffordernd zu meiner Leidensgenossin. Nach ihr trat auch ich nach draußen in den Gang und stützte mich dabei an den Gitterstäben unserer Zelle ab. Sobald die Tür wieder verschlossen war, lenkte ich meine Schritte tiefer in den Zellentrakt hinein. Bereits nach wenigen Augenblicken kam ich zu einer äußerst bedauerlichen Erkenntnis. Doch dazu später. Ich blendete alle Missstände so lange aus, bis wir schließlich die Wand erreichten, von der ihre namenlose Helferin gesprochen hatte. Nun mussten sie nur noch den versteckten Schalter finden, der den Durchgang freilegen würde. Sofern so einer überhaupt existierte. Erschöpft lehnte ich mich an den kalten Stein hinter mir und wischte mir beiläufig den Schweiß von der Stirn, ehe ich mit meinen Fingern über die raue Oberfläche neben mir fuhr und auf das nächste Wunder baute. „Siehst du was?“ In der Ferne konnte ich immer noch gedämpfte Rufe und andere Geräusche hören.

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Nickend quittierte ich seine Beteuerung, die meine Sorge jedoch keinesfalls schmälerte. Doch es blieb mir nicht mehr zu tun, als zu hoffen, dass Ethan durchhalten würde, bis wir in der Lage waren, seinen Zustand zu verbessern. Seine unnötige Aufforderung brachte mich jedoch abermals zu einem leichten Lächeln und während er an dem Schloß hantierte, lauschte ich auf verdächtige Geräusche in unmittelbarer Nähe. Die Wache wurde zu unserem Glück nicht auf uns aufmerksam und als der Azalle kurz darauf erfolgreich war, kam mir der düstere Gedanke, dass es fiel zu reibungslos verlief. Umso konzentrierter verfolgte ich alles, was sich im restlichen Schloss abspielte, weshalb Ethans Frage mich kurz irritierte. "Nein", erwiderte ich, ohne genau zu wissen, worauf er anspielte und starrte angespannt in die Richtung aus der wir gekommen waren. "Sie haben gerade andere Probleme.", bemerkte ich noch immer in meinen eigenen Gedanken vertieft, ehe ich unter den Saum meines Kleides griff und einen Dolch hervorzog. "Hier.", meinte ich knapp, drückte meinem Begleiter die Waffe in die Hand und tastete dann mit meinen freien Händen nach der Einkerbung, die uns den Weg in die Freiheit öffnen sollte. "Hier", wiederholte ich flüsternd, seinen Blick noch immer meidend, ehe ein viel zu lautes Geräusch uns bestätigte, dass die Informationen der unbekannten Frau zutreffend waren. Erleichtert atmete ich aus und betrachtete den erschienenen Spalt, durch den ich mich als erstes schob. Dunkelheit empfing uns, doch meine Augen erkannten genug Schemen, um uns sicher hier durchbringen zu können. "Ein Luftzug.", stellte ich leise auflachend fest. "Das bedeutet zumindest, dass wir nicht in einer Sackgasse enden." Mit vereinten Kräften schafften wir es, den Durchgang wieder zu verschließen und es kostete mich einige Überwindung, mich nicht erschöpft gegen die kalte Steinmauer sinken zu lassen. Wir mussten weiter. "Lass uns von hier verschwinden.", hörte ich mich deshalb sagen, griff nach Ethans Hand und übernahm die Führung durch die feuchten Tunnel.

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Perplex blickte ich auf die Waffe hinab, die die Dunkelhaarige mir unerwartet in die Hand gedrückt hatte. Anscheinend war mir ja so einiges entgangen? Außerstande dem Bild vor meinen Augen einen hinreichenden Sinn zu geben, konzentrierte ich mich wieder auf den Durchgang, den meine Begleiterin soeben geräuschvoll freigelegt hatte. Somit war auch das zweite Wunder eingetreten. Zügig und ohne uns noch einmal umzuschauen, schoben wir uns durch die schmale Öffnung und verschlossen sie wieder, sobald Aneela bestätigt hatte, dass dieser Weg nicht in einer Sackgasse mündete. Entweder hatte das Mädchen verschärfte Sinne. Oder aber das Fieber machte mir mehr zu schaffen, als ich zugeben wollte. Hustend stützte ich mich mit der gesunden Schulter an einer der Wände ab und bemühte mich gerade darum den dröhnenden Kopf auszublenden, als ich erneut Aneelas Stimme vernahm. Ich spürte, wie sie nach meinen Fingern griff und mich bestimmend hinter sich herzog. Im Grunde blieb mir nichts anderes übrig, als ihr schwankend zu folgen und darauf zu vertrauen, dass sie sich in der stockdunklen Höhle besser orientieren konnte, als ich. Zu viel mehr war ich gerade ohnehin nicht imstande.
Anfangs hielt ich es für eine Wahnvorstellung, als ich das Gefühl hatte es würde heller um uns herum werden. Doch dann traten wir aus der feuchten Höhle in eine dicht bewachsene Waldlandschaft. Ungläubig ließ ich meinen Blick umherschweifen, bis die Erkenntnis zu mir durchdrang. Wir hatten es tatsächlich geschafft. Erleichtert atmete ich die frische Abendluft ein und schloss dabei die Augen. Von hier aus würde es schon irgendwie gehen. Ich lächelte immer noch, als meine Knie wenige Schritte später nachgaben und ich mit einem dumpfen Laut auf dem mit Gras bewachsenen Boden aufkam und damit zwangsläufig die Verbindung unserer Hände durchbrach. Der unbrauchbar gewordene Dolch landete nicht weit von mir entfernt. Ein heiseres Lachen entrang meiner Kehle. Ich hatte länger durchgehalten, als befürchtet. Aber so wie es aussah, endete mein Weg hier.

~~~

Fassungslos, dass wir es tatsächlich geschafft hatten, verharrten wir in stillschweigender Übereinkunft nebeneinander und atmeten den Duft der neu gewonnenen Freiheit in uns ein. Ein Trugschluss, denn noch waren wir nicht in Sicherheit. Aber endlich die dicken Mauern des Schlosses hinter uns gebracht zu haben, erfüllte mich mit einer Leichtigkeit, die ich nicht beschreiben konnte. Doch sie war nur von kurzer Dauer. Die unerwartete Kälte, als sich Ethans Finger aus meinen lösten, ließ mich erschrocken zu meinem Begleiter blicken, dessen Kräfte sich scheinbar dem Ende neigten. "Mach mir jetzt bloß nicht schlapp, hörst du.", wisperte ich ihm eindringlich zu, als ich neben ihm auf die Knie ging und versuchte ihn wieder auf die Beine zu bringen. "Komm, wir müssen..." Resigniert brach ich ab und warf einen Blick zurück über die Schulter, ehe ich aufseufzend meinen Kopf sinken ließ. Ich wusste, wo wir uns befanden und bis zu unserem Versteck, war es noch ein weiter Weg. Selbst wenn Ethan bei Kräften gewesen wäre, war ein nächtlicher Ausflug durch den Wald immer mit Gefahren verbunden. Besonders wenn man vermutlich bald das halbe Schloss auf den Fersen hatte. Wie sollte ich Ethan nur schnell genug in Sicherheit bringen. Abwesend über seine geschundenen Knöchel streichelnd, suchte ich fieberhaft nach einem Ausweg. Dann fiel mir eine Möglichkeit ein, die meinem Begleiter vielleicht das Leben retten konnte. "Du musst aufstehen, bitte.", forderte ich ihn noch energischer auf, nahm den Dolch wieder an mich und mobilisierte dann meine letzten Kraftreserven, um Ethan aufzuhelfen. "Nicht weit von hier ist die Hütte der Heilerin, die sich am See um deine Wunde gekümmert hat. Wenn du bis dahin durchhalten könntest, wäre ich dir sehr dankbar.", fuhr ich mit einem niedergeschlagenen Lächeln fort und nickte mit meinem Kopf in jene Richtung, in der unser Ziel lag.

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Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre mir ein schnelles Ende wahrscheinlich lieber gewesen. Vielleicht sogar ein heldenhafter Tod, bei dem ich mein Leben opferte, um ihres zu sichern. Eine letzte gute Tat, die mir etwas Genugtuung verschafft hätte. Nicht eine Situation, bei der ich Aneela unnötig vor moralische Zwiespälte stellte. Denn anders konnte ich die jetzige Situation nicht beschreiben. Da lag ich also, mehr tot als lebendig im Gras herum. Außerstande ihr zu helfen, falls es die Situation erfordern sollte. Und anstatt sich in Sicherheit zu bringen, verschwendete sie kostbare Augenblicke, um dem Sterbenden das Unmögliche abzuverlangen. Mit einem schwachen Seufzen quittierte ich ihre vergeblichen Versuche mir auf die Beine zu helfen. Ihre Bitten verstärkten nur noch das flaue Gefühl in meinem Magen, welches man wohl am ehesten mit einem schlechten Gewissen umschreiben konnte. Ich wollte ihr sagen, dass sie mich zurücklassen und sich selbst retten sollte. Doch selbst dazu fand ich nicht die nötige Kraft. Oder wollte ein kleiner Teil von mir nicht, dass sie mich alleine ließ? "Du musst aufstehen, bitte." Ihre eindringlichen Worte drangen wie durch einen dichten Nebel zu mir durch. Unvollständig und nicht ganz nachvollziehbar. Doch die Dringlichkeit in ihrer Stimme konnte selbst das Fieber nicht verfälschen.
„Okay… aber nur, weil du es…bist.“, entwich mir im Flüsterton, ehe ich meine Muskeln zu einem letzten Auftakt antrieb. Auch, wenn alles in mir sich dagegen sträubte und mein eigener Körper mich lautstark dafür verfluchte, brachte ich ihn mit Aneelas Hilfe dazu in eine halbwegs aufrechte Position zu gelangen. Widerwillig verlagerte ich einen Teil meines Gewichts auf die Dunkelhaarige und ließ zu, dass sie mich weiter durch den dunkler werdenden Wald führte.
Ich war mir nicht sicher, wie viel Zeit verging, bis wir schließlich die Hütte erreichen, von der sie gesprochen hatte. Um ehrlich zu sein war ich mir nicht einmal sicher, wie wir dort hinein gelangt waren. Das nächste, an das ich mich erinnerte, war eine weiche Unterlage, auf der ich abgelegt wurde. „Niemand zuhause?“, fragte ich heiser und strich mir dabei mit zittrigen Fingern über das Gesicht.

~~~

"Hör auf zu reden, konzentriere dich lieber aufs Laufen.", ermahnte ich den Mann, der sein Möglichstes tat meiner Bitte nachzukommen. Und ich war unendlich dankbar dafür. Vermutlich hatte ich mich noch nie so gefreut einen Ort zu sehen, wie Enngelins Hütte, als diese nach einer gefühlten Ewigkeit endlich zwischen den Bäumen auftauchte. Meine Beine zitterten von der Anstrengung Ethan zu stützen, dennoch versuchte ich ihn so vorsichtig wie möglich auf dem Bett zu lagern, ehe ich noch etwas holprig zur anderen Seite des Zimmers wankte und hektisch die Vorräte der Heilerin durchwühlte. Das Chaos, das ich dabei veranstaltete außer Acht lassend, fluchte ich verzweifelt, bis ich endlich zwischen etlichen versiegelten Flaschen die Gesuchte ausmachte. Ich hoffte nur, dass mich meine Erinnerung nicht trügte, als ich eilends zu Ethan zurückkehrte, seinen Kopf auf meinem Schoß bettete und die Öffnung an seine Lippen hielt. "Du musst das trinken.", bat ich ihn abermals um etwas, das seine Möglichkeiten vermutlich überstieg. "Ein Schluck reicht...", fuhr ich leise fort und hob das Gefäß vorsichtig an, in der Hoffnung, dass die heilende Mixtur nicht zu spät kam.

~~~

Anstatt eine Antwort hörte ich, wie Aneelas Schritte sich von mir entfernten und sie hektisch begann die Arbeitsstätte der Heilerin nach etwas zu durchsuchen. Verwirrt blickte ich zwischen den Fingern zur Dunkelhaarigen und fragte mich, wie sicher dieser Ort eigentlich war. Wie viel riskierten wir gerade meinetwegen, obgleich die Azalle durchaus in der Lage gewesen wäre zu ihrem Versteck zurückzukehren? Seufzend schloss ich die Augen und ließ die verstreichenden Sekunden kommentarlos an mir vorbeiziehen. Ich musste wohl zwischenzeitlich weggetreten sein, denn mit einem Mal war die junge Frau hinter mir aufgetaucht und bettete gerade meinen Kopf auf ihrem Schoß. Noch nicht ganz verstehend blickte ich zu ihr hoch und ließ meine Augen dann während ihrer Erklärungen langsam zum Fläschchen wandern, welches sie mir entgegenhielt. Danach hatte sie also gesucht.
„Hey… rettest du mir gerade etwa zum zweiten Mal das Leben? Nicht fair…“ Mit einem matten Lächeln quittierte ich meine nicht wirklich ernst gemeinten Worte, ehe ich meinen Kopf noch ein Stück anhob und ihrer Bitte nachging. Oder es zumindest versuchte. Ich schaffte es gerade noch so das Zeug runter zu würgen, ehe ein Hustenkrampf mich in meinem Bestreben unterbrach. Unzufrieden verzog ich das Gesicht, nicht ganz sicher, ob es nun wegen den Schmerzen, dem Fieber oder dem Geschmack der Brühe auf meiner Zunge war und richtete meinen Blick erneut auf die Frau über mir. Zumindest so lange, bis meine Augen von selbst wieder zufielen und ich erschöpft aufseufzte.
„Und bei dir? Alles okay?“

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"Schweigen ist nicht so dein Ding, hm?", bemerkte ich müde lächelnd, stützte mich auf die Hand zurück, die nicht das Fläschchen umschlossen hielt und betrachtete den Verwundeten, der seine Kräfte mit unnötigen Fragen vergeudete. "Es geht mir gut. Aber du solltest schlafen. Ich muss noch das Chaos beseitigen, dass ich angerichtet habe.", erwiderte ich, ehe ich mich dazu aufraffte, seinen Kopf vorsichtig wieder auf der weichen Unterlage abzulegen. Dann machte ich mich daran Enngelins Notizheft durchzublättern, bis ich auf ein Rezept für eine Salbe stieß, die Ethans Chancen die Nacht zu überstehen vermutlich noch steigerte. Gegen die aufkeimende Erschöpfung ankämpfend, suchte ich alle erforderlichen Zutaten zusammen und vermischte sie nach Anweisung zu einem klebrigen Brei. Ich wusste nicht, ob mein Begleiter tatsächlich schlief, dennoch verließ ich die Hütte so leise wie möglich und kehrte bald darauf mit einem Eimer Wasser wieder. Bewaffnet mit einigen Mulltüchern, setzte ich mich wieder auf die Bettkante und tauchte eines davon in den vollen Behälter. "Nicht erschrecken.", warnte ich ihn vor, ehe ich ihn ein wenig zur Seite drehte und bedachtsam sein Brandmal reinigte. Schon seltsam, wenn man überlegte, dass ich vor einigen Jahren an genau diesem Ort wegen der gleichen Verletzung behandelt wurde. Leise seufzend schob ich die Erinnerungen beiseite und verteilte die zubereitete Mixtur großzügig auf der geschundenen Haut. Dann ließ ich ihn wieder langsam auf den Rücken rollen, nahm ein frisches Tuch und widmete mich den Wunden in seinem Gesicht. "Allmählich fühle ich mich wirklich wie eine Krankenschwester.", lächelte ich resginiert. Denn auch, wenn ich dank ihm das Geschehene so gut es ging ausblenden konnte, schienen die vergangenen Ereignisse ein Loch in mein Innerstes gefressen zu haben und ich konnte nur hoffen, dass dieses Gefühl irgendwann wieder verschwinden würde.

~~~

Ich war mir zwar nicht sicher, ob Aneela meine Frage ehrlich beantwortet hatte. Da sie im Augenblick jedoch diejenige von uns beiden war, die sich noch auf den Beinen halten konnte, blieb mir wohl auch nichts anderes übrig, als ihren Worten Glauben zu schenken. Ich nickte, als sie mir riet zu schlafen. Danach lauschte ich ihren Versuchen das Chaos, welches sie in dem Zimmer wegen mir veranstaltet hatte, zu beseitigen. Für einen Moment fragte ich mich, ob dies gerade wirklich geschah. Oder ob wir nicht immer noch in der modrigen Zelle lagen und dies ein weiterer Fiebertraum war. Am Ende verwarf ich meine eigenen Fragen und zog vorsichtig eine Decke über meinen geschundenen Körper, um dem Zittern entgegenzuwirken.
Ich kam erst wieder zu Sinnen, als ich ihre sanfte Stimme unmittelbar neben mir hörte. Schlaftrunken ließ ich mich zur Seite rollen und vergrub mein Gesicht in der Matratze unter mir, während sie ihr Bestes tat, um meiner verletzten Schulter etwas Linderung zu verschaffen. Sobald ich wieder auf dem Rücken lag, blickte ich zu ihr hoch und betrachtete ihr konzentriertes Gesicht, während sie sich nun meinem Gesicht widmete. Meine Mundwinkel hoben sich kurzzeitig, als sie zugab sich langsam wie eine Krankenschwester zu fühlen.
„Hm… du machst das gut. Ich würde dich einstellen…“, erwiderte ich leise und betrachtete sie noch ein wenig bei ihrer Arbeit, bis ich schließlich sacht meine Finger um ihr Handgelenk mit dem Lappen legte, um sie bei ihrer Tätigkeit zu unterbrechen und ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.
„Du hast schon mehr, als genug getan. Jetzt bist du dran... hinlegen… du musst bei Kräften sein, wenn ich dich morgen wie ein Held zu eurem Lager zurückführe… außerdem ist mir kalt.“

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"Im Moment hast du auch keine andere Wahl, als mit mir vorlieb zu nehmen.", erwiderte ich kaum hörbar auflachend und unterbrach meine Arbeit überrascht, als Ethan einige Augenblicke darauf unerwartet mein Handgelenk umschlang. Verwirrt lauschte ich seiner Erklärung und unterdrückte ein Seufzen, weil er sich trotz meiner Worte noch immer Sorgen um mich machte. "Ist dir wirklich kalt, oder versuchst du mich damit nur zu überzeugen?", hörte ich mich meine Gedanken laut aussprechen, verdrehte dann jedoch amüsiert die Augen und gab nach. "Na schön, ich denke viel mehr kann ich ohnehin nicht machen.", setzte ich deshalb hinzu, legte das Tuch achtlos beiseite und stieg vorsichtig über Ethan hinweg, um mich auf der anderen Seite des Bettes auszustrecken. Erst jetzt registrierte ich das leichte Beben seines Körpers und schob diese Unachtsamkeit auf meinen jetzigen Zustand, ehe ich sorgenvoll die kurze Distanz zwischen uns überbrückte. "Du frierst wirklich...", stellte ich unnötigerweise fest und nach kurzem Zögern, hob ich die Decke ein Stück hoch und legte mich zu ihm. Vorsichtig meinen Arm um seinen Körper legend, vergrub ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge und schloss die Augen. "Und nun schlaf endlich."

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Ich atmete erleichtert aus, als die Dunkelhaarige schließlich nachgab und sich vorsichtig zu mir legte. Die meisten ihrer Aussagen nahm ich nur noch am Rande wahr. Jeder Körper hatte wohl seine Grenzen. Und ich hatte meine eigenen längst überschritten. Die plötzliche Nähe ihres Körpers, die Wärme, nach der ich mich gerade sehnte und die Tatsache, dass wir nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr zu schweben schienen, taten ihren Rest. Ich fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als ich die Augen das nächste Mal aufschlug, dämmerte es bereits. Das erste, was ich erkannte, war Aneelas dunkler Haarschopf vor mir. Einige ihrer Strähnen kitzelten meine Wange. Ihr entspannter, gleichmäßiger Atem auf meiner Haut erzeugte einen angenehmen Schauer. Es war still um uns herum. Kein Vergleich zu der Zelle, in der wir uns vor kurzem noch befunden hatten. Die Zelle. Es dauerte einige Augenblicke, bis die Erinnerungen des vergangenen Abends nach und nach zu mir durchdrangen. Die meisten der Bilder waren noch ziemlich schwammig. Doch ich wusste zumindest, wo wir uns befanden. Und bisher schien uns niemand gefunden zu haben. Grund genug, um Wunder offiziell nicht mehr anzuzweifeln.
„Ich… bin immer noch hier, hm.“, wisperte ich mehr zu mir selbst, und war fast schon amüsiert darüber, wie trocken sich mein Hals doch anfühlte. Ich zählte also, trotz aller Widrigkeiten, noch zu den Lebenden. Eine Tatsache, die ich zweifellos dem Mädchen in meinen Armen zu verdanken hatte. Mit schuldbewusster Miene ließ ich meine Finger durch ihr dichtes Haar fahren, bis ich eines ihrer Ohren freigelegt hatte. Nach kurzem Zögern flüsterte ich ihr schließlich die nächsten Worte zu. „Hey, Aneela… ich denke wir sollten bald weiter… es geht wieder…“

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Träume waren schon eine seltsame Angelegenheit. Manchmal erinnerte man sich so einschneidend an seine nächtlichen Imaginationen, dass man kaum zwischen Wirklichkeit und Irrealität unterscheiden konnte. Und hin und wieder fühlten sie sich so echt, dass es kaum zu glauben war, dass man beim morgendlichen Erwachen diese Bilder nicht mehr greifen konnte. Als mich ein warmes Flüstern an diesem Tag aus meinem Schlaf riss, traf letzteres zu. Und während ich verschlafen blinzelte, gingen auch die letzten fahrigen Erinnerungen irgendwo verloren und ließen mich in meinem Unwissen zurück. Doch vermutlich sollte ich in diesem Falle dankbar dafür sein, denn ich bezweifelte, dass meine Träume viel Schönes bereitgehalten hatten. Noch ein wenig zerstreut drehte ich mein Gesicht ein wenig zu Seite und war im ersten Moment überrascht Ethan gegenüber zu blicken. Dann jedoch kehrten allmählich die Erinnerungen zurück und ein erleichteretes Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus, als ich die positive Veränderung an ihm wahrnahm. "Du siehst gut aus.", stellte ich zufrieden fest, ehe ich kurz innehielt, weil mir die Zweideutigkeit meiner Worte bewusst wurde. "Also ich meine...ach du weißt, was ich meine.", fuhr ich etwas unbeholfen fort, richtete mich im nächsten Moment auf und ließ meinen Blick durch die Hütte schweifen. "Wir leben noch.", sagte ich noch immer fassungslos, dass wir tatsächlich hier waren. "Du bist wirklich ein verdammter Glückspilz. Weich mir bloß nie wieder von der Seite!", grinste ich ihm neckisch zu, ehe ich von dem Bett krabbelte und mich sogleich auf die Suche nach etwas Essbarem machte. "Gott, ich sterbe vor Hunger.", ließ ich verlauten, während ich in den Schränken ein paar Lebensmittel ausmachte, die trotz der Einfachheit an ein Festmahl erinnerten. "Hier." Ich reichte Ethan ein Stück Käse und etwas Brot, ließ mich am Bettende nieder und genehmigte mir ein paar hastige Bissen, ehe ich mit einer Flasche Wasser nachspülte. "Du hast recht, wir sollten so schnell wie möglich aufbrechen.", griff ich seine Worte von zuvor auf, die mir im Nachhinein wieder eingefallen waren und musterte meinen Gegenüber mit schiefgelegtem Kopf. "Willst du eigentlich mit ins Versteck um dich noch vollständig zu kurieren, oder soll ich dich sofort bis zur Grenze bringen?", fragte ich, den Blick ablenkend auf das Laken gerichtet und mit einer Hand unnötgerweise glattstreichend.

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Mit einer Mischung aus Amüsement und Reue verfolgte ich, wie die Dunkelhaarige langsam zu sich kam und ihr verschlafener Blick schließlich auf mich fiel. Das erleichterte Lächeln, welches ihre Lippen bereits kurz darauf zierte, war ansteckend. Mein eigenes ging augenblicklich in die Breite, sobald sie die Stille durchbrach und ihre eigenen Worte kurz darauf bereits wieder relativierte. So, wie es aussah, war ich nicht der einzige, dem der Schlaf gut getan hatte. „Natürlich.“, nuschelte ich in meinen nicht vorhandenen Bart, während ich ihr beim Aufrichten zusah. Ihre Feststellung, dass wir noch lebten, zeigte mir, dass diese Tatsache wohl nicht nur für mich ziemlich surreal erschien. Aneela ließ mir jedoch keine Zeit mich weiter mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen, da sie augenblicklich weitersprach. "Du bist wirklich ein verdammter Glückspilz. Weich mir bloß nie wieder von der Seite!", befahl sie geradezu mit einem Grinsen, welches bewirkte, dass sich eine wohlige Wärme in meiner Brust ausbreitete. Es wurde recht schnell klar, wonach sie die Schränke in der Hütte absuchte und kaum dass ich darüber nachdachte, meldete sich auch prompt mein Magen lautstark zu Wort. "Gott, ich sterbe vor Hunger." Ihr plötzlicher Ausbruch verleitete mich zu einem kurzen Lachen. „Nicht nur du…“, erwiderte ich schmunzelnd und stieß mich dabei vorsichtig von der Matratze ab, um in eine sitzende Position zu gelangen. Das Fieber hatte ich irgendwie überwinden können. Doch ich fühlte mich immer noch ziemlich ausgelaugt. Ganz zu schweigen von den verbleibenden Wehwehchen, die mir während meines Aufenthalts im Kerker zugefügt worden waren. Doch verglichen mit Aneelas Geschichten waren wir wohl noch recht glimpflich davongekommen.
Mehr als nur willig nahm ich das Essen entgegen, welches sie in der kurzen Zeit hatte auftreiben können. Ich musste mich dazu zwingen langsam zu machen. Anderenfalls wäre ich womöglich noch bei meinem Festmahl erstickt. Und das wäre ein ziemlich bescheidenes Ende nach unserer glorreichen Flucht. Mittlerweile saß Aneela wieder auf dem Bett und tat es mir gleich. Etwas verspätet stimmte sie meinen Worten von zuvor zu. Trotz des Anscheins war dieser Ort wahrscheinlich alles andere als sicher. Und falls die Soldaten ihre Suche noch nicht aufgegeben hatten, würde die einfache Holztür der Hütte sie sicherlich nicht lange aufhalten. Kauend registrierte ich, dass sie mich mit schief gelegtem Kopf musterte.
"Willst du eigentlich mit ins Versteck um dich noch vollständig zu kurieren, oder soll ich dich sofort bis zur Grenze bringen?" Die Frage kam ziemlich unerwartet. Noch während ich darüber nachdachte, löste Aneela den Blickkontakt auf und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Laken unter ihr zu. Ich wüsste nur zu gerne, was ihr gerade durch den Kopf ging. Denn so blieb mir nichts anderes übrig, als ihr schief zuzulächeln.
„Ich bin aus einem ganz bestimmen Grund nach Cerandíl gekommen. Und ich lasse mich sicher nicht so leicht vertreiben; zumindest solange ich keine konkreten Antworten gefunden habe. Sofern ihr mich noch eine Weile ertragen könnt, würde ich gerne bleiben.“
Langsam beugte ich mich zu der Dunkelhaarigen vor und griff nach der Wasserflasche, ehe ich mir ein paar Schlucke der wohltuenden Flüssigkeit genehmigte. Wie von selbst wanderten meine Augen erneut zu ihrem Gesicht.
„Außerdem wäre es doch langweilig den Schwanz einzukneifen und mich feige aus der Affäre zu ziehen. So, wie es aussieht, stecken wir in dieser Sache erstmal gemeinsam drin…“

~~~

Nachdenklich blickte ich wieder zu meinem Gegenüber auf und fragte mich, welche Angelegenheit ihn wohl hierhin verschlagen hatte. Doch meine Neugier wurde von dem Gefühl übertüncht, dass ich vermutlich nicht berechtigt war, ihn nach weiteren Einzelheiten zu fragen. Deshalb beschränkte ich mich auf ein knappes Nicken, während Ethan nun seinerseits etwas Flüssigkeit zu sich nahm und versuchte stattdessen meinen eigenen Empfindungen auf den Grund zu gehen. Seine nächste Aussage ließ mich jedoch überrascht lächeln. "Es wäre nur verständlich, wenn du so schnell wie möglich von hier verschwinden wollen würdest.", erwiderte ich leicht gequält und versuchte für einen Moment mich in seine Lage zu versetzen. Was immer ihn nach Cerandil geführt hatte, musste ihm sehr wichtig sein. "Aber natürlich darfst du bleiben. Solange du willst.", setzte ich hinzu und ignorierte die abermals aufkeimende Erleichterung darüber, dass sich unsere Wege nicht sofort trennten. Ich musterte ihn noch einige Augenblicke unschlüssig, ehe ich mich von der Matratze erhob und begann die Hütte so gut es ging wieder in ihren vorherigen Zustand zu bringen. Ob Enngelin mit den anderen wohl ins Versteck gegangen war? Die Alternative wollte ich mir nicht mal ausmalen. "Lass uns gehen. Wir haben noch ein bisschen Weg vor uns und ich muss sichergehen..." Ich unterbrach mich und schob den Dolch wieder unter das Band, welches um meinen Oberschenkel gewickelt war. "Nun, es wird Zeit für deinen heldenhaften Auftritt.", grinste ich ihm schief zu. "Außerdem brauchen wir dringend was anderes zum Anziehen. Wir sehen wirklich grauenvoll aus, weißt du.", fuhr ich weiter ablenkend fort und blickte kurz an mir herunter. Grübelnd musterte ich die Schnittwunde an meinen Arm und unweigerlich huschten meine Gedanken zu Callum und der Ereignisse am vorangegangenen Tag. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, welche Spielchen er sich noch ausgedacht hätte, wären wir nicht entkommen und ohne es zu realisieren waren meine Augen wieder auf den Mann gerichtet, der all das noch weniger begreifen konnte, als ich. Unschlüssig haderte ich kurz ihm zu erzählen, was passiert war, doch irgendetwas hinderte mich noch immer daran. "Also, ich wäre dann soweit."

~~~

Ich konnte Aneelas Bedenken verstehen. Wirklich. Jeder normale Mensch an meiner Stelle hätte sich spätestens jetzt dazu entschlossen zu seiner sicheren Heimat zurückzukehren und nie mehr zurückzublicken. Doch leider hatte ich noch nie zu der vernünftigen Sorte gehört. Eine Tatsache, die mich selbst jedoch nicht sonderlich störte. „Gut. Dann ist das wohl entschieden.“, erwiderte ich mit einem schiefen Lächeln. Während sie für etwas Ordnung in der Hütte sorgte, beendete ich meine Mahlzeit und rutschte anschließend zur Bettkante. Flüchtig wanderten meine Augen zu der Bettwäsche, an denen zahlreiche Spuren dessen, was wir in den letzten Tagen erlebt hatten, hafteten. Hoffentlich würde uns die Herrin des Hauses diese Übernahme nicht übel nehmen. Sofern sie den Angriff auf der Lichtung überstanden hatte. Meine Miene verdunkelte sich, während ich mir vor Augen führte, wie viele Menschen am See ihr Leben gelassen hatten. Mein einziger Trost bestand darin, dass ich die meisten von ihnen nicht kannte. Aneelas Stimme riss mich aus meinen trübsinnigen Gedanken.
"Lass uns gehen. Wir haben noch ein bisschen Weg vor uns und ich muss sichergehen..." Die Dunkelhaarige ließ ihren Satz unbeendet. Ich bemerkte, wie sie den Dolch vom Vortag hervorholte und sicher verstaute. Was es wohl mit dieser Waffe auf sich hatte? Mir war gar nicht aufgefallen, dass sie sie gestern mitgenommen hatte. Kein Wunder, wenn man meinen damaligen Zustand unter Betracht zog. "Nun, es wird Zeit für deinen heldenhaften Auftritt." Ihre nächsten Worte waren von einem schiefen Grinsen begleitet, welches ich kurz erwiderte, ehe ich wackelig auf die Beine kam. Die Fragen vermochte es jedoch nicht aus meinen Gedanken zu verdrängen.
Als sie auf unser Äußeres zu sprechen kam, wanderten meine Augen automatisch zu einem der Schränke in der Nähe. Zweifelsohne befanden sich dort frische Kleider, die wir uns hätten ausborgen können. Doch die Zeit drängte. Und mir war nicht wohl bei der Vorstellung wegen so einer Kleinigkeit gefasst zu werden. Also nickte ich der Azalle zu und trat gemeinsam mit ihr nach draußen. Ich kniff kurz die Augen zu, als mich die ersten Sonnenstrahlen blendeten.
„Na dann. Weise den Weg.“, nuschelte ich leise, ehe ich eine Hand nach ihr ausstreckte und ihre Finger zu fassen bekam. „Damit du mir nicht entwischst.“, erklärte ich mit der Andeutung eines Grinsens im Mundwinkel. Doch die Wahrheit sah viel einfacher aus. Ich war mir nicht ganz sicher, wie verlässlich mein Körper gerade war. Also hatte ich beschlossen die Hilfe meiner Begleiterin schamlos auszunutzen, um meine Kräfte zu sparen.
Nicht lange, nachdem wir uns in Bewegung gesetzt hatten, wanderten meine Augen wie von selbst zu ihrem Oberschenkel. Einige Minuten bemühte ich mich die Frage zurückzuhalten. Doch schließlich siegte die Neugier.
„Dieser Dolch… was hat es damit auf sich? Seit wann hast du ihn?“

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Dass Ethan noch immer nicht in bester Verfassung war, bemerkte ich spätestens, als er sich noch etwas wankend von dem Bett erhob. Selbst die wenigen Schritte hinaus aus der Hütte schienen ihn mehr Kraft zu kosten, als ich gehofft hatte. Deshalb verstand ich seine erneute Bemühung, die Verbindung unserer Hände wieder aufrecht zu erhalten, als das, was es war. Ein notwendiges Mittel um uns beide so schnell wie möglich zurückzubringen. Das Grinsen erwidernd, drückte ich seine Finger kurz aufmunternd, ehe wir endlich den ersehnten Rückweg antraten. Bedächtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, darauf achtend, mich seinem Tempo anzugleichen und konzentrierte mich währenddessen auf unsere Umgebung. Mir durfte nicht noch einmal so ein schrecklicher Fehler, wie am See passieren. Da war es wieder. Dieses mulmige Gefühl in meinem Inneren, das sich nur noch verstärkte, wenn ich daran dachte, was mich im Versteck erwarten würde. „Dieser Dolch… was hat es damit auf sich? Seit wann hast du ihn?“
Irritiert drehte ich mein Gesicht meinem Nebenmann zu und blieb ein wenig verdattert stehen, ehe ich reflexartig mit meiner freien Hand über den Stoff strich, unter der besagter Dolch verborgen lag. "Seit meinem...Gespräch mit Callum.", erwiderte ich unsicher und bei dem Gedanken an das, was danach passiert war, zog sich meine Brust schmerzhaft zusammen. Nicht ganz sicher, ob ich mehr Abstand zwischen uns bringen wollte, oder ihn verringern, zog ich meine Hand aus seiner und verschränkte die Arme vor mir, um diesem Gefühl Einhalt zu gebieten. Es misslang. "Hat er...er hat mit dir geredet oder?", hörte ich mich leise fragen, während ich mit gesenktem Kopf der Bewegung meines Fußes folgte. Unruhig schob ich einige Blätter mit meinem Stiefel zur Seite und schult mich dafür, diese Frage überhaupt gestellt zu haben. "Ist schon okay. Reden wir nicht darüber. Callum ist...nun. Ich hatte zuvor nur Geschichten gehört und...wir sollten einfach froh sein, dass wir entkommen sind."

~~~

Ich hatte gewusst, dass diese Frage unser Vorankommen behindern würde. Und trotzdem hatte ich es nicht lassen können sie zu stellen. Unschlüssig blickte ich auf die Dunkelhaarige hinab, die abrupt stehen geblieben war, was mich zwangsläufig ebenfalls zum Stillstand gebracht hatte. Die Antwort, die sie mir gab, verleitete mich zu einem Stirnrunzeln. Callum? Sie hatte den Dolch von diesem Kerl? Noch ehe ich weiter nachfragen konnte, zog Aneela ihre Hand abrupt aus der meinen und verschränkte die Arme schützend vor sich. "Hat er...er hat mit dir geredet oder?", fragte sie sichtlich nervös. Mittlerweile hatte sie den Blick von mir abgewandt und betrachtete sich selbst dabei, wie sie einige Blätter auf dem Boden vor uns mit einem Fuß hin und her schob. Augenblicklich bereute ich meine Entscheidung. Das spürte wohl auch die junge Frau vor mir, die versuchte die Situation irgendwie zu retten, indem sie das Thema beendete und versuchte das Gute an unserer Lage zu sehen. Die Tatsache dass wir entkommen waren. Doch irgendwie fühlte ich mich nicht wohl dabei das Thema so stehen zu lassen.
„Ich finde es nicht okay. Nicht wirklich. Nicht, wenn der Kerl irgendwelche Späße mit dir getrieben hat.“, gab ich leise zu und spürte augenblicklich, wie Wut in mir aufstieg. Was um alles in der Welt hatte sich dort damals zugetragen? „Ich weiß, der Zeitpunkte könnte nicht schlechter sein, aber…“
Unentschlossen betrachtete ich die Azalle einige Augenblicke lang, ehe ich mir seufzend mit einer flüchtigen Bewegung die verklebten Haare nach hinten strich und den Blick ebenfalls senkte. „Wir haben uns kurz unterhalten, ja. Eigentlich hat er mir nur ein paar banale Fragen gestellt und dann…“
Ich machte eine kurze Pause, um meine Gedanken zu sammeln.
„Er gab zu, dass er mich als Druckmittel benutzen wollte. Aber er wusste, dass du deine Familie niemals verraten würdest. Also versuchte er durch mich an die Informationen zu gelangen, die er brauchte. Du warst das Druckmittel, weil ich ein Außenstehender bin… war… wie auch immer.“

~~~

Meine Bemühungen, seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken schlug fehl. Stattdessen berichtete er von seiner eigenen Befragung und ich war mir ziemlich sicher, dass er genauso wie ich die brisanten Details ausließ. Unsicher hob ich den Blick und betrachtete meinen Begleiter, dessen Miene sich zusehends verfinsterte. "Und ich war so egoistisch darüber erleichtert zu sein.", gab ich reumütig zu und sah entschuldigend zu dem Mann, der all meine Fehler hatte ausbaden müssen. "Ich weiß, du willst das nicht hören. Aber ich hätte verhindern können, dass wir bei der Trauerfeier so überrannt wurden. Und du...du wärst nicht mal dort gewesen, hätte ich dich nicht dazu ermutigt. Du wärst entkommen, wenn du mich diesem Soldaten überlassen hättest." All die Dinge, die mich seit jenem Abend verfolgten sprudelten aus mir raus, als würde dadurch meine Schuld kleiner werden. Doch in Wahrheit nahmen sie nur endlich Gestalt an und ich kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen, die mich nur noch mehr erzürnten. "Und ja, sie wollten dich benutzen, um mich zum Reden zu bringen. Bis Callum erkannt hat, dass es umgekehrt genauso funktioniert. Und anstatt zu erkennen, was das für dich bedeutete, war ich einfach nur froh nicht zusehen zu müssen, wie sie dich zu Tode foltern.", ließ ich die nächsten bitteren Worte auf ihn einprasseln, die mir wie Steine auf der Seele gelegen hatten. "Halb zu Tode geprügelt wurdest du trotzdem! Was ich hätte verhindern können, wenn ich nicht gezögert hätte." Stattdessen hatte ich hilflos mitansehen müssen, wie Ethan zugerichtet wurde. "Also bitte, sei mir nicht dankbar.", brachte ich leise hervor, ehe ich mich von ihm abwandte und versuchte mich wieder unter Kontrolle zu bringen. "Ich kann mir vorstellen, dass die Spielregeln der Befragung die selben waren. Aber glaub mir, egal was du geantwortet hast, er hat nichts davon wahrgemacht." Ich schloss einen Moment die Augen, konzentrierte mich auf meine Atmung und betete dafür, dass sich der Boden unter meinen Füßen auftun würde, um mich aus dieser peinlichen Lage zu befreien. Ich konnte selbst nicht mehr sagen, was mich schlussendlich die Beherrschung hatte verlieren lassen, aber ich bereute meinen Ausbruch und rieb mir missmutig über das Gesicht. "Tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist."

~~~

Meine Worte lösten unerwarteter Weise eine Flut aus Schuldbekenntnissen aus. Überrascht betrachtete ich die junge Frau vor mir, die sich letztlich die Schuld an allem schlimmen gab, was uns und den restlichen Azallen in den letzten Tagen widerfahren war. Sie ließ mir auch gar nicht die Gelegenheit zu einer Reaktion. Betroffen verharrte ich also in meinen Bewegungen und hörte ihr so lange zu, bis sie alles gesagt zu haben schien, was ihr auf dem Herzen lag. Und nun betrachtete ich ihre Rückenansicht, während sie sich für ihren plötzlichen Ausbruch entschuldigte und dabei ihr Gesicht in ihrer Hand verbarg. Mir entfuhr ein Seufzen, als ich schließlich einen Schritt auf sie zutrat.
„Okay. Ist schon okay.“
Kurzerhand legte ich einen Arm von hinten um ihre Taille und zog Aneela einfach an mich. Mögliche Proteste ignorierend lehnte ich meine Wange an ihrem Kopf und hoffte darauf, dass sie nicht allzu sehr gegen mein Verhalten aufbegehren würde. Denn im Augenblick hätte mich wahrscheinlich selbst ein Kleinkind zu Fall bringen können.
„Ich werde nicht versuchen dich von irgendwas zu überzeugen. Du scheinst dir deiner Worte ja ziemlich sicher zu sein. Was geschehen ist, ist geschehen. Wir haben es wieder raus geschafft; im Moment zählt nur das. Und so wie ich mich kenne, wirst du noch genügend Gelegenheiten bekommen, dich bei mir zu revanchieren, okay?“

~~~

Ich war erleichtert, dass Ethan nicht versuchte jegliche Schuld von mir zu weisen. Dass er es jedoch einfach hinnahm, war fast genauso schlimm. Und dann tat er etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte und was beide Szenarien noch übertraf. Mich an sich ziehend, spürte ich seinen Atem in meinem Nacken, als er leise versuchte mir Trost zuzusprechen. Irritierenderweise hatte er damit sogar Erfolg, auch wenn mich meine eigenen Empfindungen mehr als verwirrten. "Die Befürchtung habe ich auch...", erwiderte ich flüsternd auf seine Worte und gab mich kurzzeitig diesem innigen Moment hin, ehe ich mich leise seufzend aus seiner Umarmung befreite. "Wir sollten weiter.", murmelte ich, beseitigte mich meinem Ärmel die letzten Überreste dieses Ausbruches und drehte mich dann langsam wieder zu meinem Begleiter um. Mit einem schwachen Lächeln musterte ich meinen Gegenüber und versuchte die richtigen Worte zu finden, die beschreiben konnten, was gerade in mir vorging. Derlei zwischenmenschliche Dinge hatten jedoch nie zu meinen besonderen Stärken gezählt. Deshalb beschränkte ich mich darauf, mit meiner Hand flüchtig über seine Wange zu streichen, ehe ich sie wieder sinken ließ und abermals unsere Finger miteinander verschränkte. "Na komm Filou, genüg Gefühlsausbrüche für einen Tag."

~~~

Irgendwas an meinem Verhalten schien richtig gewesen zu sein, denn ich spürte, wie Aneela sich allmählich in meinen Armen entspannte. Und auch ihre geflüsterte Antwort auf meinen Vorschlag ließ mich an dieser Vermutung festhalten. Leise seufzend schloss ich die Augen und öffnete sie erst wieder, als die Azalle sich schließlich aus der Umarmung befreite und vorschlug, dass wir weitergehen sollten. „Ja. Da sind wir uns wohl einig.“ Noch etwas unschlüssig betrachtete ich sie, wie sie sich langsam zu mir umdrehte und es mir einige Augenblicke lang gleich tat. Dann spürte ich bereits ihre warmen Finger an meiner Wange. Eine Geste, die mich überrascht blinzeln ließ. Und während ich noch versuchte schlau daraus zu werden, griff Aneela bereits nach meiner Hand und ließ die nächste Überraschung verlauten. „Filou?“, wiederholte ich amüsiert, noch während wir uns langsam in Bewegung setzten. Ich fragte mich, womit ich mir diesen neuen Kosenamen verdient hatte. Doch schlussendlich kam ich zu der Schlussfolgerung, dass die Antwort darauf wahrscheinlich gar nicht so wichtig war. Lächelnd strich ich kurz mit meinem Daumen über ihre Finger. „Lass uns dich nach Hause bringen, Prinzessin.“
Der Rest des Weges verlief glücklicherweise ohne unerwartete Zwischenfälle. Hier und da mussten wir kurze Pausen einlegen, damit ich wieder zu Atem kam. Doch schließlich hörte ich in der Ferne das vertraute Plätschern des Flusses, in dessen Nähe sich der Zugang zum Versteck der Azallen befand. Vorsichtig schlüpften wir durch die Öffnung und wurden sogleich von zwei Azallen empfangen, die aus einer sicheren Position aus dafür zu sorgen schienen, dass niemand unerlaubt hinein oder raustrat. Bei meinem letzten Besuch hier war dies noch nicht der Fall gewesen. Doch Zeiten änderten sich, wie es schien. Und persönlich hatte ich nichts gegen diese Sicherheitsmaßnahme einzuwenden.
Ich unterbrach die Verbindung unserer Hände und wartete geduldig, an einer Wand gelehnt, während Aneela die Wächter begrüßte und einige Worte mit ihnen wechselte. Die Erleichterung der Männer war ihnen ins Gesicht geschrieben. Doch mir entging auch nicht der misstrauische Blick, den einer der beiden mir zuwarf. Noch so eine Tatsache, die mich nach den Ereignissen am See nicht wirklich verwunderte. Kurz darauf ging es auch schon weiter.
Mir entwich ein leises Seufzen, als wir schließlich das unterirdische Gemäuer betraten. „Meine Sachen müssten immer noch in deinem Zelt sein?“, mutmaßte ich leise und lenkte meine Augen zur Dunkelhaarigen, als bereits die ersten, aufgeregten Rufe in unmittelbarer Nähe ertönten.


Liebe ist nur eine weitere Methode anderen Leid zuzufügen <3
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#165

RE: ~Cerandíl~

in Cerandíl - Origins 10.06.2017 01:39
von Venhedis • Höllenfürstin | 38 Beiträge



Schlaflos wandte ich mich hin und her, starrte eine Weile an die Holzstangen an der Decke meines Zeltes, zählte sogar Schafe und ließ mir die Geschehnisse der letzten paar Stunden durch den Kopf gehen. Letzteres war definitiv ein Fehler, da ich nun nicht mehr damit aufhören konnte. Flüchtig dachte ich an den harschen Blick, den ich Kilian zuwarf kurz bevor ich wutentbrannt an ihm vorbeistürmte und in meine Jurte verschwand nachdem mir Pola die Kräuter in die Hand gedrückt hatte, um die ich sie bat. Etwas länger blieben meine Gedanken an Kilians Beschwichtigungsversuchen hingen, welche ich recht schnell mitbekam, als ich mich wieder unter die Leute begab. Ich selbst versuchte mich weitestgehend aus jeglichen Diskussionen heraushalten. Zumindest bis auf das eine Mal, wo ich den Mund einfach nicht halten konnte.
„Vertraut ihm einfach“, sagte ich und überraschte mich fast selbst. Forderte ich da wirklich grade, dass man jemandem vertrauen sollte? „Er wird das schon hinbekommen“, fügte ich noch hinzu um meine eigenen Gedanken zu überspielen. Die zwei Männer drehten sich zu mir um und wiesen mich recht schnell mit einem gereizten „Seit wann interessierst du dich denn für die Probleme der Azallen hier?“ ab.
Und genau daran blieben meine Gedanken in diesem Moment hängen. An Fragen wie; „Vertraue ich wirklich jemandem außer mir selbst?“ Und „Seit wann kümmerte ich mich um die Probleme anderer?“
Nun, die erste Frage ließ sich recht einfach mit ja beantworten. Ob ich es nun wollte oder nicht, meinem dunkelhaarigen Freund vertraute auf jeden Fall, auch wenn ich ihn nach der Aktion heute nur allzu gerne mal in den Fluss werfen würde.
Durch ein Wenden auf die rechte Seite wurde ich auch recht fix daran erinnert, seit wann ich mich um die Probleme anderer scherte. Seitdem der Hauptmann mir mit, wortwörtlich, einem Schlag zeigte, was es heißt eine Azalle zu sein und als solche erkannt zu werden
Ich drehte mich wieder auf die linke Seite und hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, ob es theoretisch noch die Probleme der anderen waren oder bereits meine eigenen da mich nun endlich der Schlaf überkam.

„Aneela?“ Sofort setzte ich den Korb ab, mit welchem ich mich in den frühen Morgenstunden eigentlich aus dem Versteck und zum Fischmarkt schleichen wollte, und eilte zu meiner Freundin und ihrem Begleiter, welcher mich für einen kurzen Moment eher an ein Eichhörnchen erinnerte, welches man einem tollwütigen Köter nicht schnell genug hatte abnehmen konnen... mit dem kleinen Unterschied, dass er noch lebte. Dieser Gedanke verschwand jedoch so schnell wie er kam als ich Aneela erreichte und sie kurz, aber fest in die Arme schloss.
„Was ist passiert?“ Ich löste mich wieder von ihr, sicher, dass sie kein Hirngespinst war, welches durch zu wenig Schlaf vor mir stand. „Du bist ja noch schlimmer zugerichtet als sonst“, merkte ich an und konnte mein erleichtertes Lächeln, darüber, dass sie noch lebte, nicht verbergen.

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